© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Die große Entzauberung
Ein schlechtes Jahr für die Sache der Frauen. Der Skandal um die zurückgetretene Rundfunk-Intendantin Patricia Schlesinger ist nur eine von vielen Blamagen für Frauen in Führungspositionen, die sich auffällig häufen. Schlittert der Feminismus in eine Krise?
Dietmar Mehrens

Es wird Zeit für eine feministische Regierung“, forderten die Grünen in ihrem Wahlprogramm. Agitprop alter Schule bricht sich Bahn in Forderungen wie: „Unsere Staatlichkeit soll bunter und feministischer werden.“ Die neurotische Überzeugung, daß Männer, alte, weiße Männer, um genau zu sein, an patriarchalen Unterdrückungsstrukturen festhalten möchten, ist tief eingeschrieben in die DNA der Öko-Fundamentalisten. Männer sind – auf eine einfache Formel gebracht – die schlechtere Option, wenn es um die Führung eines Landes geht. Die „Geschlechterbilder“, denen die Grünen laut Bundestagswahlprogramm 2021 „entgegenwirken“ möchten, weil „die sich nachteilig auf Frieden, Sicherheit und Entwicklung auswirken“, sind die des Patriarchats. Daher die Forderung nach einer „feministischen Außenpolitik“, über die sich Friedrich Merz in einem seiner besseren Momente im Bundestag mokiert hat.

Frauenquoten, Gleichstellungsbeauftragte, Gendergerechtigkeit mit Schluckauf-Suffix und Interpunktions-Chaos: es wird immer deutlicher, daß sich hier etwas grotesk verselbständigt hat. Doch die feiste Fregatte des Feminismus ist ins Schlingern geraten: Schlesinger (RBB), Rossbach (NDR), Lagarde und von der Leyen, Baerbock, Lambrecht, Roth & Co. – wohin man auch schaut, überall Frauen, die sich gerade nach allen Regeln der Kunst blamieren. Selbst Angela Merkel, 16 Jahre lang das umjubelte wandelnde Emblem für eine bessere, weil weiblich-besonnene, von Macho-Allüren à la Trump, Johnson, Putin, Bolsonaro freie Politik, wurde binnen weniger Monate zur glanzlosen Altlast, jäh entzaubert durch die Folgen fataler Fehlentscheidungen zu Energie, Währung und Wehretat. Inzwischen weiß man, daß die Kanzlerin so unsicher in ihrer Politikgestaltung war, daß sie eigens ein Umfrage-Horchrohr am Puls der Zeit installieren ließ. Friedenspreisträger Navid Kermani zeigte sich in der Aufsatzsammlung „Toleranz“ (JF 28/21) erschüttert von der „Naivität“ der Kanzlerin angesichts der Migrationskatastrophe von 2015. Man ist versucht zu fragen: Was hat die Frau eigentlich richtig gemacht? 

Ursula von der Leyen, Merkels gescheiterte Verteidigungsministerin, ist als EU-Kommissionspräsidentin zwar bestens aufgehoben, weil sie hier weitgehend folgenlos ihre Blendreden und Schwafeldiskurse halten kann, aber wer kann einer Frau Achtung zollen, die sich aus purem Populismus durch niveauarme rhetorische Angriffe auf wichtige Partnerländer im Osten am Geist der Völkerverständigung versündigt, auf dem das EU-Projekt beruht?

Von der Leyen war nie irgend jemandes Wunschkandidatin für das Amt, sondern Teil eines politischen Ränkespiels, das Christine La-garde den Posten der EZB-Chefin sichern sollte. Auch sie eine krasse Fehlbesetzung. Macrons Pleitegeierwally hat die Inflationsgefahr trotz eines ganzen Konzerts warnender Stimmen gefährlich unterschätzt und auf Menschen gehört, die entweder noch weniger Ahnung von oder noch weniger Interesse an Geldstabilität haben als sie. Dazulernen möchte die graue Eminenz des Währungsverfalls auch nicht: Ende August glänzte sie auf der wichtigsten Konferenz der Weltfinanzexperten und Notenbankchefs in Jackson Hole in den Rocky Mountains durch Abwesenheit. Aber für ein Gespräch mit dem Frauenmagazin Madame Figaro hatte sie Zeit. Darin schwadronierte sie über linksgrün-feministische Lieblingsthemen wie Frauen in Führungspositionen, Klimawandel und „Green New Deal“. Was war noch mal die Hauptaufgabe der EZB?

Kaum noch reden mag man von den Rohrkrepierern der aktuellen und der letzten Bundesregierung. In Merkels Kabinett gab es zwar auch männliche Versager, aber nur Franziska Giffey und Ursula von der Leyen wurden zu einer so großen Hypothek, daß sie auf andere Posten verschoben werden mußten. Von der Leyens Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer war keine große militärische Leuchte, stellt aber wenigstens ihre Nachfolgerin Christine Lambrecht in den Schatten, die bekanntlich zu ihrem neuen Arbeitsplatz kam wie die Jungfrau zum Kinde. Schade, daß die frechen Kinderreporter, die gestandene Politiker so gern in die Bredouille bringen, nur im Wahlkampf aktiviert werden. Lambrechts Wissen über militärische Dienstgrade mit einem Schulterklappen-Quiz zu testen hätte wahrscheinlich das Zeug zum Youtube-Hit. In der militärischen Fachwelt ist die Dame nie angekommen; einzig bei der Flugbereitschaft hat sie sich schnell eingelebt. 

Von ihrer Kollegin Anne Spiegel redet niemand mehr. Die grüne Ex-Familienministerin hat nach ihrem Rücktritt im April dieses Jahres genügend Muße, sich mit dem richtigen „Wording“ zur Abwehr von „Blame-Games“ zu befassen, die nun immerhin zu keinem Rücktritt von einem Ministeramt mehr führen können. Falls sie immer noch unter den Einschlafstörungen leidet, die sie zwar nicht während der Ahrtal-Katastrophe gequält haben, dafür aber um so mehr, als ihr interner Umgang damit ans Licht kam, kann sie statt Schäfchen Gendersternchen zählen.

Ihre ehemalige Kabinettskollegin Steffi Lemke sah bei der Katastrophe um das Oder-Fischsterben nicht viel besser aus. Und Kulturstaatsministerin Claudia Roth konnte wohl primitiven Graffiti-Schmierkram noch nie von echter Kunst unterscheiden, was auf der diesjährigen „documenta“ zu einem Eklat führte. Roths Busenfreundin Nancy Faeser hat so viele Ja-Sager um sich versammelt, daß ihr vermeintlicher Kampf gegen Rechts, der in Wahrheit ein Kampf gegen die Demokratie ist, kritiklos durchgewinkt wurde. Konsequent verweigert sich Faeser den Daten und Fakten ihres eigenen Ministeriums, das ermittelt hat, daß von Gewalttätern mit linksextremistischem Hintergrund zuletzt die größere Gefahr ausging. Das durchgesickerte Übernahmeangebot von Christine Lambrecht anzunehmen besteht trotzdem kein Grund. Die würde es ja auch nicht besser machen.

Annalena Baerbock hat unlängst wieder den Eindruck bestätigt, der sich schon in den ersten Tagen ihrer Amtszeit aufgedrängt hat: Sobald sie sich auf keines der von ihren ministerialen Fachkräften erstellten Skripte stützen kann, wird es schnell peinlich. Dank der notorisch überforderten Außenministerin haben Deutsche aber bereits einiges gelernt: Der härteste Knüppel ist nicht immer das intelligenteste Schwert, der dürftigste Uni-Abschluß sorgt nicht immer für den schlechtesten Posten und das loseste Mundwerk ist nicht immer eine Garantie für die fettnäpfchenfreiesten Auftritte. „Das ist bekanntermaßen“, O-Ton Baerbock, „äh, bekannt.“

Die aufgeflogene Vetternwirtschaft bei RBB und NDR entzaubert nun auch die sich selbst so gern als forsche Fortschritts- und Gleichstellungsweltmeister inszenierenden grün durchseuchten Öffentlich-Rechtlichen. Daß die manische Gleichstellerei Frauen in Führungsämter gehievt hat, die nun als genauso paternalistisch und nepotistisch aufgeflogen sind wie die geheimen Männerbünde, die Feministinnen aller Länder paranoid überall wittern – tja, dumm gelaufen.

Niemand bestreitet, daß Männer in entsprechender Position genauso selbstherrlich agieren können. Aber „Frauen sind nicht besser als Männer“, wie unlängst die ehemalige Siemens-Managerin Janina Kugel bekannte. Denn Frauen sind Menschen. Schlimm genug, daß solche Selbstverständlichkeiten heute schon eine Meldung wert sind. 

Sind Baerbock, Roth & Co. nicht abschreckendes Beispiel genug dafür, daß Qualifikation und nicht Quote über den Aufstieg in ein politisches Amt entscheiden und daß sich die CDU um Gottes Willen nicht auch noch in dieser Frage an Gepflogenheiten der Grünen anpassen sollte? Ähnlich argumentierten konservative Delegierte auf dem CDU-Parteitag Anfang des Monats in Hannover. Aber wieder mal hat sich Ideologie gegen gesunden Menschenverstand durchgesetzt. 

Eine, die stets eine gute Figur gemacht hat, als Frau, als Edeldame, als Königin, hat soeben die Weltbühne verlassen. Liz Truss, die fast zeitgleich die politische Führung Großbritanniens übernommen hat, wäre gut beraten, sich für ihr Amt als Premierministerin an Elizabeth II. als Vorbild und nicht an Verzweiflungskönigin Theresa May zu orientieren. Sonst drohen weitere Blamagen.