© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Zeitschriftenkritik: GEO Wissen – Mit Demenz leben
Wenn das Ich verlorengeht
Thorsten Thaler

In Deutschland lebten Ende 2021 nach Angaben der Deutschen Alzheimergesellschaft fast 1,8 Millionen Menschen mit Demenz. Betroffen sind vor allem über 65jährige, darunter etwa doppelt so viele Frauen wie Männer. Demenzerkrankungen entwickeln sich über Jahrzehnte, erläutert die Neurologin und Leiterin der Klinik für Geriatrie der Univerversitätsmedizin Göttingen, Christine von Arnim, in einem Interview mit dem Magazin Geo Wissen zum Thema „Mit Demenz leben“

(Nr. 77/2022). Schon bevor sich offensichtliche typische Symptome zeigen, führen Einweißablagerungen, die verklumpen, zur Schädigung von Hirnzellen und Synapsen. Was genau die Ursachen sind, die eine Demenz auslösen, ist bis heute jedoch nicht bekannt. Altersmedizin-Forscher wie von Arnim gehen davon aus, daß 60 Prozent „Schicksal“ sind und 40 Prozent beeinflußbare Risikofaktoren. Sicher ist nur, daß die Krankheit unheilbar ist; es gibt keinen Wirkstoff dagegen.

Dennoch sollte Demenz nicht als „Horror-Krankheit“ dargestellt werden, meint Michael Schmieder. Er konzipierte vor über dreißig Jahren ein erstes Pflegeheim nur für Demenzpatienten im Schweizer Kanton Zürich. An der Situation in Deutschland läßt er kein gutes Haar. Die Ursache des Übels sieht er in der „mißachtenden Haltung unserer Gesellschaft gegenüber alten Menschen“.Hierzulande sei die Pflege „nichts wert“. Dies habe sich mit der Privatisierung der Einrichtungen in den 1990er Jahren noch verschlimmert. Sie müßten auf Kosten der Menschen, die dort leben und arbeiten, Rendite abwerfen. Zudem beklagt er die Bürokratie. Jeder Handgriff müsse aufgeschrieben werden, um sich abzusichern. Das gehe von der Pflegezeit ab und sei für die Angetellten „unglaublich zermürbend“. Schmieder: „Wir brauchen mehr Geld, weniger Bürokratie und eine bessere Ausbildung für die Pflegekräfte.“ Das werde aber nur passieren, „wenn wir die Pflege in der Gesellschaft wieder aufwerten“.

In weiteren Beiträgen berichten Angehörige von Demenzkranken und Pflegekräfte über ihren Alltag.

Einer der wichtigsten Ansatzpunkte für den Umgang mit Betroffenen ist die sogenannte Biographiearbeit. Wer die Lebensgeschichte der Patienten sehr gut kennt, vor allem von emotional prägenden Erlebnissen aus lange zurückliegenden Zeiten weiß, kann ihnen mit diesen Triggerpunkten besser helfen, Zugang zu den noch intakten Inhalten ihres zerfallenden Gedächtnisses zu finden.

Ein umfangreiches Dossier gibt einen guten Überblick über Ursachen und Risikofaktoren für eine Demenz, Symptome und Diagnose, den Krankheitsverlauf, Therapien, Hilf- und Pflegeangebote sowie Informationen zu Geld- und Rechtsfragen.

Kontakt: Gruner + Jahr GmbH, Am Baumwall 11, 20459 Hamburg. Geo Wissen Kundenservice: 040 / 55 55 89 90. Das Einzelheft mit 146 Seiten kostet 11 Euro.

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