© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Herrscher eines dunklen Zeitalters
Ausstellung „Schwerter der Königreiche“: Zu Besuch in der englischen archäologischen Ausgrabungsstätte Sutton Hoo
Karlheinz Weißmann

Wahrscheinlich hat der Spielfilm „Die Ausgrabung“ (2021, Originaltitel: „The Dig“) ein breites Publikum erstmals mit der Fundstätte Sutton Hoo nahe der Stadt Woodbridge in der ostenglischen Grafschaft Suffolk bekanntgemacht. Auf jeden Fall führt er eine wachsende Zahl von Besuchern in die etwas abgelegene Landschaft, die einmal das Königreich East Anglia bildete.

Vor Ort kann man zwar nicht die Originalstücke besichtigen, die 1939 aus der Bestattung eines angelsächsischen Fürsten des 6. Jahrhunderts geborgen wurden, denn die werden seit langem vom Britischen Museum in London verwahrt. Aber es gibt doch sehr gute Rekonstruktionen und eine gelungene Ausstellung zur Geschichte der Landnahme durch Angeln und Sachsen, der folgenden Germanisierung, die die keltische Bevölkerung der britischen Hauptinsel assimilierte oder in Randgebiete abdrängte, und der Entstehung Englands nach einem „Zeitalter der kämpfenden Reiche“. Direkt neben dem Museum von Sutton Hoo liegen außerdem die Grabhügel der angelsächsischen Elite, von denen einer die Schiffsbeisetzung barg, auf die man kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs stieß.

Wegen der geringen Zahl schriftlicher Quellen ist man im Hinblick auf das Frühe Mittelalter oft auf indirekte Schlußfolgerungen unter Einbeziehung archäologischer Funde angewiesen. Gleichzeitig darf angenommen werden, daß weitere Entdeckungen unser Bild der Vergangenheit nach und nach ergänzen. Das gilt etwa in bezug auf den sogenannten Hort von Staffordshire, der erst 2009 ans Licht kam.

Heidnische Götter und christlicher Glaube

Momentan werden repräsentative Teile dieses Schatzes in Sutton Hoo gezeigt. Der Titel der Ausstellung, „Swords of Kingdoms“ – „Schwerter der Königreiche“, führt allerdings insofern in die Irre, als man keine Waffen oder Klingen präsentiert. Vielmehr werden deren kunstvolle Beschläge gezeigt, oft aus Gold oder Silber gefertigt und mit (Halb-)Edelsteinen versehen. Nach Meinung der Fachleute wurden sie wegen ihres Wertes von einhundert bis einhundertfünfzig Beutestücken entfernt und dann vor feindlichem Zugriff verborgen oder den Göttern durch Eingraben geopfert. Die Waffen selbst hat man offenbar weiterverwendet.

Obwohl viele der Exponate klein sind, kann man den filigranen Arbeiten des Horts eine Art „Code“ entnehmen. Denn es handelt sich nicht einfach um Schmuckelemente, sondern um Artefakte, die bestätigen, was auch im Hinblick auf den Sutton-Hoo-Fund als Schlüssel der Interpretation dient: die Annahme, daß es um den Besitz einer kriegerischen Aristokratie geht, die in einer Übergangsphase – dem „Dunklen Zeitalter“ – das Land beherrschte.

Deutlich wird das an dem Aufwand, der für die Schwerter betrieben wurde, die nicht nur als Waffen, sondern auch als Rangzeichen dienten. Sie erhielten Namen (wie Naegling und Hrunting in der angelsächsischen Heldendichtung „Beowulf“), wurden sorgsam geschmiedet und kostbar dekoriert. Was den Aspekt des Übergangs angeht, so hat man es einerseits mit Verweisen auf die heidnische Vergangenheit zu tun. Das zeigt sich schon am Festhalten der Sitte der Grabbeigaben, aber vor allem an der Darstellung charismatischer Tiere wie Drache, Eber, Bär oder Rabe und der Häufigkeit des Verschlingungsmotivs. Andererseits haben sich die Menschen offenbar als Christen betrachtet, wofür die Anzahl der Kreuze und anderer christlicher Symbole spricht.

Zweifellos überwog das heidnische Element das christliche in dieser Phase der Entwicklung. Deutlich wird das an der Verzierung jener Prunkhelme, die man sowohl in Sutton Hoo als auch in Staffordshire gefunden hat. Der Helm von Staffordshire kann zwar aus konservatorischen Gründen nicht gezeigt werden, aber die Fotografie macht seine Funktion als Herrschaftszeichen ebenso deutlich wie seinen Bezug auf die alte Religion. Denn ähnlich dem Helm von Sutton Hoo und Stücken aus Schweden ist er mit Preßblechen bedeckt, auf denen man als wiederkehrendes Motiv stark stilisierte Bilder erkennt, die sich auf Mythos oder Kult bezogen. Eine Feststellung, die unschwer mit der Aussage einer mittelalterlichen Quelle über den angelsächsischen König Raedwald verbunden werden kann, dem man das Schiffsgrab von Sutton Hoo zuordnet: „Er schien beiden zu dienen, Christus und den Göttern, die er früher verehrt hatte.“

Nachdem 597 Missionare aus Rom nach England gekommenen waren, hatte sich

Raedwald taufen lassen. Aber in seinem Fall galt, was auch vorher schon und später noch im Hinblick auf die Germanenbekehrung zu beobachten war: die Oberen traten zum neuen Glauben über, nicht oder nicht in erster Linie, weil sie die Lehre des Evangeliums annahmen, sondern weil sie die Macht des „Weißen Christus“ auf ihrer Seite haben wollten, oft verknüpft mit dem Entschluß, auf Nummer Sicher zu gehen und gleichzeitig an den heidnischen Göttern festzuhalten.

Für die Ausstellung „Swords of Kingdoms“ in Sutton Hoo mit ihren rund 60 Exponaten, die noch bis zum 30. Oktober gezeigt wird, ist eine Voranmeldung über die Netzseite notwendig.

 www.nationaltrust.org.uk