© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Wenn Architektur politisch wird
Dem Architekturprofessor Philipp Oswalt gerät sein Aufsatz zur Garnisonkirche in Potsdam zum Manifest gegen Rechts
Peter Möller

Wer einen Blick auf die architektonischen Rekonstruktionen der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland wirft, kommt nicht umhin, von einer Erfolgsgeschichte zu sprechen. Ob die Schlösser in Berlin, Potsdam oder Braunschweig, die historische Altstadt in Frankfurt am Main oder allen voran die Dresdner Frauenkirche: Dank der Initiative unzähliger Bürger konnten seit den achtziger Jahren zahlreiche Wunden, die der Zweite Weltkrieg geschlagen hatte, geheilt werden.

Doch über diese sichtbaren Erfolge darf nicht vergessen werden, daß fast überall zuvor jahrelang ein erbitterter Kampf um das Für und Wider eines Wideraufbaus der zerstörten historischen Zeugnisse der Vergangenheit getobt hat. Das Beispiel des Berliner Stadtschlosses zeigt, daß dieser Streit mitunter nicht einmal mit dem Abschluß der Rekonstruktion endet (JF 25/22).

Besonders verbissen wird und wurde um den Wiederaufbau der 1945 ausgebrannten und später vom SED-Regime abgerissenen Potsdamer Garnisonkirche gerungen. Mit der Rekonstruktion des wuchtigen 90 Meter hohen Turms wurde trotz aller Auseinandersetzungen 2017 begonnen. Mittlerweile sind die Maurerarbeiten abgeschlossen und der Turm steht im Rohbau, als nächster Schritt steht der Bau des 23 Meter hohen Turmhelms an. Währenddessen wird immer noch darüber gestritten, ob und wenn ja in welcher Form das Kirchenschiff wiederaufgebaut wird. An vorderster Front der Auseinandersetzung um den Wiederaufbau der Garnisonkirche steht auf seiten der Gegner, wie auch schon bei der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses, der Architekt Philipp Oswalt, der an der Universität Kassel Architekturtheorie und Entwerfen lehrt. Oswalt ist ein erbitterter Gegner des Wiederaufbaus und trat 2016 sogar aus Protest gegen das Engagement der Kirche aus der EKD aus.

Hinweise auf die größere geschichtspolitische Brisanz

In den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte (3/2022) hat Oswalt nun auf gut vierzig Seiten seine Sicht der Dinge zum Wiederaufbau der Kirche zu Papier gebracht. Oswalt hat schon in der Vergangenheit mehrfach deutlich gemacht, daß er kein Freund von Rekonstruktionen historischer Bauten ist. In seiner Haltung spiegelt sich die Auffassung vieler zeitgenössischer Architekten wider, denen es weniger um stimmige und harmonische Architektur im Sinne der Allgemeinheit geht, sondern darum, sich selbst und ihre modernistische Architekturauffassung zu verwirklichen. Der Wiederaufbau historischer Bauwerke stört da nur. Für Oswalt ist die Garnisonkirche aber nicht nur ein weiteres Rekonstruktionsvorhaben unter vielen in Deutschland. So umstritten manche Projekte auch gewesen seien – die Potsdamer Garnisonkirche birgt nach seiner Auffassung eine deutlich größere geschichtspolitische Brisanz als andere Projekte, wie etwa das von ihm ebenfalls leidenschaftlich bekämpfte Berliner Stadtschloß. 

Die Garnisonkirche habe von Anfang an als Symbol für die enge Verbindung von monarchischem Staat, Kirche und Militär gestanden. „Seit Mitte des 19. Jahrhunderts avancierte die Kirche zum bedeutendsten Symbol des preußisch-deutschen Nationalprotestantismus, der mit bellizistischem, demokratiefeindlichem und völkischem Gedankengut verbunden war“, fällt Oswalt sein Urteil. In der Weimarer Republik sei die Kirche dann zum Identifikationsort für die antidemokratischen und rechtsextremen Kräfte geworden. „Besonders geschichtsträchtig war jedoch der ‘Tag von Potsdam’ am 21. März 1933 als symbolische Inthronisierung Adolf Hitlers durch Kirche, Militär und Adel, die in den folgenden Jahren vom NS-Regime propagandistisch überhöht und populär verklärt wurde: durch Festakte, Souvenirs, das Glockenspiel als Pausenmelodie im Reichsrundfunk und durch eigens geprägte Gedenkmünzen.“ Dadurch hat sich für Oswalt ein Wiederaufbau eigentlich grundsätzlich erledigt. 

Doch neben dieser „Belastungsgeschichte“ sieht er einen weiteren Hinderungsgrund: Zahlreiche Befürworter der Neuerrichtung der Kirche verortet Oswalt politisch „rechts“ und damit im Dunstkreis jener „Belastungsgeschichte“, die einen Wiederaufbau der Kirche per se unmöglich mache. An erster Stelle steht dabei der ehemalige Bundeswehroffizier Max Klaar, der 1984 als damaliger Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 271 im nordrhein-westfälischen Iserlohn den Anstoß dafür gegeben hatte, daß bald vierzig Jahre später der Turm der Potsdamer Garnisonkirche wieder in den Himmel über Potsdam wächst. Für Oswalt ist Klaar nicht der verdienstvolle Bürger, der den Anstoß dafür gegeben hat, daß ein bedeutendes Bauwerk der preußisch-deutschen Geschichte rekonstruiert wird, sondern lediglich „ein Bundeswehroffizier, dessen rechtsextreme Orientierung bald nicht mehr zu übersehen war.“

In seinem Aufsatz zeichnet Oswalt zwar akribisch die Geschichte des Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche von ihrem Ausgangspunkt 1984 im westdeutschen Iserlohn über die Aufstellung des Nachbaus des Glockenspiels der Garnisonkirche in Potsdam 1991 bis hin zum andauernden Streit um das Kirchenschiff nach. Doch trotz aller Detailversessenheit und der 231 Fußnoten ist der Aufsatz weit davon entfernt, ergebnissoffen und unvoreingenommen das Ringen um die Rekonstruktion der Kirche zu dokumentieren. Der Aufsatz ist vielmehr der Versuch, das ganze Projekt als rückwärtsgewandt und ewiggestrig zu diskreditieren und die Initiatoren und Befürworter der Rekonstruktion in die Nähe des Rechtsextremismus zu rücken.

Dem Architekturprofessor Oswalt, soviel wird deutlich, geht es nicht um die Reparatur des durch den Zweiten Weltkrieg und das SED-Regime schwer in Mitleidenschaft gezogenen Potsdamer Stadtbilds, sondern um die Deutungshoheit über die preußisch-deutsche Geschichte. Architektur ist für ihn dabei keine ästhetische Frage, sondern eine Frage von politischer Macht und Einfluß – oder auf die bundesrepublikanischen Verhältnisse heruntergebrochen, eine Frage des „Kampfes gegen Rechts“. Das wird am Ende des Aufsatzes noch einmal besonders deutlich. Ausgerechnet dem sehr weit links stehenden Soziologen Matthias Quent aus dem Umfeld der Amadeu-Antonio-Stiftung überläßt Oswalt das Schlußwort. Quent deutet den Komplex des Wiederaufbaus als einen Beleg für die „Verzahnung von rechtsextremen mit konservativen Strukturen und Ansichten auf dem politischen Feld der Erinnerungskultur“ und spricht von einer „Normalisierungsstrategie der äußersten Rechten“, die bestrebt sei, ,,größere Resonanzräume für revisionistische und antidemokratische“ Deutungsmuster zu öffnen und um in die politische Mitte vorzustoßen.  Spätestens an dieser Stelle wird deutlich: Um Architektur geht es dem Architekturprofessor bei der Garnisonkirche nicht, sehr wohl aber um linke Politik.

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