© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Die Freude an der Lehre gründlich austreiben
Totalitäre Methoden gegenüber Dozenten mit abweichenden Meinungen: Die Universität Halle und der Fall Jürgen Plöhn
Michael Dienstbier

Der Siegeszug der ideologischen Formierung der Gesellschaften des Westens im Namen von Diversität, Gender und Antirassismus nahm ab den 1980er Jahren an US-amerikanischen Universitäten seinen Ausgang. Etwa zehn bis 15 Jahre später schwappte die Welle nach Europa über, und dementsprechend sind es heute auch in Deutschland die höheren Bildungseinrichtungen, die mit zunehmender Radikalität als Multiplikatoren der Regenbogen-Ideologie agieren, um die zukünftigen Eliten auf Linie zu bringen. 

Ein Hauptkriegsschauplatz ist der Gebrauch der Gendersprache. Wer sich dieser verweigert, muß immer häufiger mit Notenabzügen oder gar dem Seminarsausschluß rechnen. Jeder, der im akademischen Bereich Karriere machen will, weiß mittlerweile auch ohne direkte Vorgaben, woher der Wind weht, und paßt seinen Sprachgebrauch dem Zeitgeist an. Jürgen Plöhn, Professor für Politikwissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle (MLU), hat den Spieß einfach einmal umgedreht. Seinen Seminarhinweisen fügte er folgende Erklärung bei: „Texte, die inhaltlich oder sprachlich ideologisch geprägt sind, sind eo ipso unwissenschaftlich und entsprechen daher nicht den Leistungsanforderungen. Dies gilt für den Stil ebenso wie für den Inhalt. Dies gilt insbesondere auch für die ideologisch geprägte ‘Gendersprache’.“ Daß diese klare Ansage – wer bei mir gendert, bekommt eine schlechtere Note oder fällt durch – nicht lange unwidersprochen bleiben konnte, liegt auf der Hand. Die Reaktion der Institutsleitung auf eingehende Beschwerden einiger Studenten zeigt, mit welch totalitären Methoden Dozenten mit abweichenden Meinungen mittlerweile auf Linie gebracht werden.

Der Konflikt an der Universität Halle schwelt seit einigen Monaten und hat in der vergangenen Woche durch Recherchen der Welt neue Erkenntnisse über eine ganz eigene Form der Cancel Culture hervorgebracht. Im Februar dieses Jahres teilte Institutsleiter Johannes Varwick dem Privatdozenten Plöhn per Mail mit, „daß Sie keine Lehre mehr an der MLU anbieten können“. Gegen dieses faktisch ausgesprochene Berufsverbot, nur weil er auf korrektem Sprachgebrauch nach Vorgaben des Dudens insistiert, setzte sich Plöhn zur Wehr. Niemand könne ihm aus den genannten Gründen das Recht zur Lehre verwehren, antwortete er Varwick. 

Dessen Antwort ist ein erschütterndes Beispiel, mit welcher Arroganz der Macht die woke Elite mittlerweile ihren Herrschaftsanspruch zur Geltung bringt. Natürlich könne er ihm das Recht zur Lehre nicht verwehren, so Varwick, aber das Institut „könne die Rahmenbedingungen dafür festlegen, die ich Ihnen hiermit kurz mitteile“. Vom Institut würden ihm ab jetzt keinerlei administrative Ressourcen mehr zur Verfügung gestellt, so habe er sich etwa auch um Raumbuchungen selbst zu kümmern. Des weiteren sei der Besuch seiner Seminare für Studenten nicht mehr als Pflichtmodul anrechenbar, also im Grunde nur noch ein privates Freizeitvergnügen. „Ich weiß nicht, sehr geehrter Herr Plöhn, ob Sie unter diesen Voraussetzungen noch Freude an der Lehre haben werden“, beendete Varwick seine Mail. Selbst in dieser an Zynismus nun wahrlich nicht armen Zeit läßt einem dieser Satz den Atem stocken. Im Sommersemester 2022 bot Plöhn zum ersten Mal seit 19 Jahren keine Lehrveranstaltung an. Mittlerweile beschäftigt sich auf seine Eingabe hin der Petitionsausschuß des Landtages von Sachsen-Anhalt mit diesem Vorgang.

Der Fall Plöhn weist deutliche Parallelen zur Causa Martin Wagener auf. Ebenfalls Politikwissenschaftler, lehrte Wagener bis zum Mai dieses Jahres am Zentrum für Nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung (ZNAF) des BND in Berlin. Aufgrund einiger vom Verfassungsschutz monierter Passagen in seinem Buch „Kulturkampf um das Volk“ wurde ihm der benötigte Sicherheitsbescheid entzogen, so daß er das Gelände des ZNAF nicht mehr betreten darf. Auch hier also ein De-facto-Berufsverbot wegen ideologisch abweichenden Verhaltens. Wer das Buch Wageners liest, wird feststellen, daß die Extremismusvorwürfe des Verfassungsschutzes basierend auf der angeblichen Propagierung eines ethnopluralistischen Menschenbildes an den Haaren herbeigezogen sind.

Widerstand im „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ formiert

Plöhn und Wagener sind nur zwei von zahlreichen Beispielen, die verdeutlichen, daß das Abweichen von der woken Staatsideologie immer häufiger das Ende der Karriere bedeutet. Egal ob Gendersprache, Migration, Klima oder das binäre Geschlechtssystem: Regelmäßig wird Kritikern die Möglichkeit entzogen, ihre Argumente vorzubringen. Da dies rechtlich (noch) nicht ohne weiteres möglich ist, greift man zu etwas subtileren Methoden der Unterdrückung wie in den beiden beschriebenen Fällen. Gegen diese Entwicklung formiert sich mittlerweile Widerstand. 

Im September 2020 wurde das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ gegründet, dem mittlerweile über 700 Wissenschaftler angehören. Mit Hilfe von Öffentlichkeitsarbeit und Diskussionsforen kämpft die Organisation gegen die Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit und für eine akademische Streitkultur, die diesen Namen auch verdient. So lobenswert dieses Engagement auch ist, so besorgniserregend erscheint es, daß solch eine Organisation überhaupt notwendig ist. Die freie Meinungsäußerung innerhalb geltender Gesetze gehörte stets zum Fundament akademischer Diskurse. Daß diese nun keine Selbstverständlichkeit mehr ist, sondern von einer Minderheit aktiv verteidigt werden muß, läßt nichts Gutes für die Zukunft erahnen. Man darf nicht vergessen, daß Plöhn und Wagener lediglich stellvertretend für das Schicksal vieler Betroffener stehen, von denen die Öffentlichkeit nie erfahren wird. Zudem wird meist nicht derart unverblümt in die Lehre eingegriffen wie im Fall Varwick und Plöhn. Meist reicht schon die Drohung, den Zugang zu „Drittmitteln“ zu erschweren oder zu begrenzen, um gestandene C4-Professoren zur Räson zu rufen. Anderenfalls steht immer noch die Antifa parat, um Veranstaltungen an der Universität unliebsamer Dozenten stören zu lassen. Der Wirtschaftswissenschaftler Bernd Lucke (Uni Hamburg) oder der Historiker Lothar Höbelt (Uni Wien) waren nicht die einzigen Opfer dieses Eingriffs in die Freiheit der Lehre.