© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Migrantische Aktivistinnen erinnern an Kolonialschuld
Schweigen der Täter brechen
(ob)

Die „koloniale Amnesie“ ist für die Historikerinnen Catherine Davies (Zürich) und Laetitia Lenel (HU Berlin) keineswegs ein deutsches Phänomen. Spezifisch sei nur die relativ späte Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte. Diese Verzögerung erkläre sich aus dem Umstand, daß im Unterschied zu den westlichen Kolonialmächten hierzulande kaum Angehörige der vor 1914 kurzzeitig kolonisierten Völker lebten, die es vermocht hätten, „das Schweigen der ehemaligen Tätergesellschaft aufzubrechen“ (Merkur, 9/2022). Das habe sich mit der Verwandlung der ethnisch homogenen deutschen Nachkriegsgesellschaft in einen  multiethnischen Vielvölkerstaat geändert. Zwar können Davies und Lenel selbst in der Berliner Regenbogenrepublik keine nennenswerte Zahl von Nachkommen aus den Kolonien ausmachen. Dafür aber jede Menge „migrantischer Aktivistinnen und Forscher“. Ihrer Initiative vor allem, nicht etwa, wie die Historikerinnen wissen könnten, dem Bedürfnis der politisch-medialen Klasse, Kolonialismus zur propagandistischen Flankierung ihrer Einwanderungspolitik „antirassistisch“ auszubeuten, sei die späte Aufarbeitung dieser „dunklen Seiten der Vergangenheit“ zu danken. Leider stießen deren Projekte zur „Dekolonisation des städtischen Raums auf große Widerstände“. 


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