© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Etwas beunruhigende Botschaften über den tiefen Staat
Der Historiker Nikolai Wehrs analysiert, wie die BBC-Sitcom „Yes Minister“ das politische Bewußtsein der Briten bis heute prägte
Oliver Busch

Die überaus erfolgreiche BBC-Fernsehserie „Yes Minister“, von 1980 bis 1988 ausgestrahlt in 38 Folgen, handelt vom Arbeitsalltag des fiktiven britischen Kabinettsministers James Hacker, der in der Regierung des Vereinigten Königsreichs das ebenso fiktive Department of Administration Affairs leitet. Oder zu leiten glaubt, denn tatsächlich hat sein beamteter Staatssekretär Sir Humphrey Appleby dort das Sagen. Wie Sir Humphrey in jeder Folge die Pläne seines Ministers blockiert und stattdessen der Wille der von ihm verkörperten Ministerialbürokratie über die Pläne des demokratisch gewählten Politikers triumphiert, ist die Grundidee der „Britcom“, dieses eigentümlich britischen Serienformats, das seinen Unterhaltswert aus der schnellen Abfolge geistreicher Gags gewinnt, die selten ohne schwarzen Humor und anarchischen Sarkasmus auskommen. 

Dem Zeithistoriker Nikolai Wehrs (Konstanz) hat diese Serie einen ungewöhnlichen Zugriff  auf die jüngere britische Geschichte eröffnet (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2/2022). Zeige sich doch, wie ein Format der Populärkultur an der Renaissance des politischen Konservatismus, in Gestalt der Premierministerin Margaret Thatcher, wesentlichen Anteil gehabt habe. Zugleich lasse sie erkennen, wie nachhaltig die Medienmacht wirke. Denn selten hätten wohl so viele Briten zur gleichen Zeit das gleiche über die Funktionsweise ihres politischen Systems lernen können. 

Auf das Permanenzprinzip gegründeter Verwaltungsstab

Bis heute sei deren  politisches Bewußtsein von der für Wehrs „etwas beunruhigenden“ Kernbotschaft der Serie geprägt: das Regierungssystem funktioniert nicht, oder zumindest nicht in der vorgeschriebenen demokratischen Weise, weil der in Großbritannien auf das Permanenzprinzip gegründete Verwaltungsstab – der „tiefe Staat“, würde man neuerdings sagen – und nicht die demokratisch gewählte Regierung herrscht. Anders als in den USA, wo nach jedem Wechsel im Weißen Haus 3.000 Exekutivbeamte neu bestellt werden, bleiben britische Ministerialbeamte des Civil Service, die der Vorgängerregierung zugearbeitet haben, auch unter einem neuen Kabinett im Amt und hebeln, wie Kritiker seit den 1920ern nicht müde werden zu warnen, die demokratische Gewaltenteilung aus, indem sie ihre Partikularinteressen in die politischen Entscheidungsprozesse einfließen lassen. 

Die satirische Grundidee von „Yes Minister“ basiert auf diesem Dualismus, der seine ganze Dramatik während der Regierungszeit des Labour-Premiers Harold Wilson offenbarte. Nach 1945 war das Verhältnis zwischen den Sozialisten und den Bürokraten zwar lange harmonisch, weil der Civil Service maßgeblichen Anteil an der geräuschlosen Umsetzung der wohlfahrtsstaatlichen Reformen der Labour-Regierung von Clement Attlee (1945–1951) hatte. Aber zwischen 1974 und 1979, als die Wilson-Regierung unter den Druck einer verheerenden chronischen Wirtschaftskrise geriet, die die Inflationsrate auf 26,9 Prozent klettern ließ und die den von Streiks erschütterten öffentlichen Dienst im „Winter of Discontent“ 1978/79 an den Rand des völligen Zusammenbruchs brachte, lag für Labour-Politiker nichts näher, als die Obstruktion einer notorisch konservativen Ministerialbürokratie dafür verantwortlich zu machen.

Nach Wilsons Ablösung durch Thatcher blieben der „bremsende“ und „blockierende“ Verwaltungsstab jedoch weiterhin das Angriffsziel der Serie. Doch nun erschien er nicht mehr als Hemmschuh für linken Staatsinterventionismus, sondern im Gegenteil für Thatchers neoliberales, mit dem Konservatismus-Etikett versehenes Konzept des small government, das die Verwaltung „deregulieren“, partiell privatisieren und nach betriebswirtschaftlichen Rationalisierungsmodellen neu organisieren sollte. 

Sir Humphrey, elitärer Absolvent des fiktiven Baillie College in Oxford, hingegen agierte weiter als Vertreter des alten Konservatismus, als Verteidiger der kulturellen Güter aristokratischer Schichten („the important things of life“), der Ästhetik der Hochkultur gegen die moderne Massenkultur („the hands of the barbarians“). So habe „Yes Minister“, die Serie, die anfangs die Anti-Labour-Stimmung befeuerte, schließlich Thatchers Zustimmungswerte in der Mittelschicht und somit die Akzeptanz ihrer sich „konservativ“ gerierenden Politik des sozialen Kahlschlags erhöht, indem sie den Mephisto Sir Humphrey und seinesgleichen als abschreckend konservative Relikte des antimodernistischen „true Toryismn“ der 1930er inszenierte. 


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