© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/22 / 23. September 2022

Rote Flotten durchfahren Bayern
Ob Elbvertiefung oder Main-Donau-Kanal – verbissener Widerstand ist eine deutsche Tradition
Tobias Dahlbrügge

Containerschiffe, Öltanker oder Transporter, die künftig die russischen Erdgaslieferungen ersetzen sollen – die Ozeanriesen werden immer größer. Daher wurde beispielsweise die Elbe zwischen ihrer Mündung in die Nordsee und dem Hamburger Hafen in den vergangenen 200 Jahren neunmal ausgebaggert. Die jüngste Elbvertiefung brauchte zwei Jahrzehnte bis zur Fertigstellung: 2002 beantragt, wurde die Fahrrinnenvertiefung um 1,90 Meter am 24. Januar dieses Jahres komplett freigegeben.

Klagen von Umweltschützern, politische Querschüsse von den Linken bis zur niedersächsischen CDU, Kritik von Kirchenvertretern sowie die deutsche und EU-Genehmigungsbürokratie hatten das Projekt ausgebremst. Doch nun können Schiffe mit 13,50 Meter Tiefgang unabhängig von Ebbe und Flut den größten deutschen Hafen ansteuern. Doch lange Planungszeiten, Hinhaltetaktiken, Hetzkampagnen und Bauverzögerungen sind bei Autobahnen, Bahnhöfen, Chemiefabriken oder Flughäfen seit Jahrzehnten Praxis in Deutschland.

„Das dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel“

Auch der Main-Donau-Kanal, die künstliche Wasserstraße zwischen Bamberg und dem niederbayrischen Kelheim war vor 40 Jahren eines der umstrittensten Bauprojekte der Bundesrepublik. 16 Schleusen, 115 Brücken und 170 Kanalkilometer mußten gebaut sowie 175 Meter Höhenunterschied überwunden werden, um eine durchgehende Verbindung zwischen dem niederländischem Rotterdam und dem rumänischem Schwarzmeerhafen Konstanza (Constanța) zu ermöglichen. Mit dem „Durchstich“ von Kilometer Null am Zusammenfluß von Main und Regnitz bis zur Altmühl-Mündung in die Donau wurde die Schiffahrtsstraße von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer vollendet. Inzwischen haben sich die Wellen gelegt: Gemütlich tuckern die Frachtkähne dahin. Ein Schubverband bringt es auf fast 200 Meter Länge. Transportiert werden Sand und Spat, Schrott und Sperrholz, Getreide, Windrad-Flügel und Anlagenteile.

Am 25. September 1992 konnte der bayerische Ministerpräsident Max Streibl (CSU) den Kanal feierlich einweihen, doch der Gedanke einer Main-Donau-Verbindung ist wesentlich älter: Karl der Große soll schon im Jahr 793 daran gearbeitet haben. Um die Handelsrouten seines Reiches optimal zu kombinieren, ließ er die Flüsse Rezat und Altmühl durch einen Graben – „zweitausend Schritte lang und dreihundert Fuß breit“ – verbinden. Die nächsten tausend Jahre wurde der Plan immer mal wieder aufgegriffen. Sogar Napoleon beauftragte eine Machbarkeitsstudie. Zuletzt kam der Zweite Weltkrieg dazwischen. Erst 1960 ging die Bundesregierung unter Konrad Adenauer das Projekt wieder an – diesmal ernsthaft und dynamisch.

Doch das mobilisierte diverse Gegner: Konservative befürchteten „Rote Flotten“ kommunistischer Donau-Anrainer, die zum deutschen Rhein gelangen könnten. Liberale und Linke bestritten die Wirtschaftlichkeit. Bundesverkehrsminister Volker Hauff (SPD) nannte den Kanal 1981 „das dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel“ und forderte vom Freistaat Bayern „eine qualifizierte Beendigung“ des Baus. Doch ein Jahr später kam es in Bonn zum Machtwechsel: Helmut Kohl stürzte Helmut Schmidt, und damit bekam auch der Kanal bundespolitisch wieder Oberwasser. Nun sollte die Verbindung endlich „zügig fertiggestellt werden“.

Für die Grünen war das damals Rhein-Main-Donau-Kanal genannte Projekt– neben der Startbahn West des Frankfurter Flughafens, den Kernkraftwerken und der Wiederaufarbeitungsanlage für AKW-Brennstäbe im oberpfälzischem Wackersdorf – das meistgehaßte Bauprojekt. Auch weil es mit CSU-Chef Franz Josef Strauß, ihrem Lieblingsfeind, verbunden war. „Hier werden Milliarden für ein sinnloses Prestigeprojekt verschleudert“, behauptete der Stern; Naturschützer hielten den Bau sogar für ein „Verbrechen“. In der ARD-Kabarett-Sendung „Scheibenwischer“ lästerte Dieter Hildebrandt im Januar 1982, das Kanalprojekt sei „grober Unfug“ und „Schwachsinn“. „Die Industrie“ wolle dafür ein „lästiges Erholungsgebiet“ planieren; per Bahn wäre der Transport viel schneller und billiger, weil die Bahn als Reaktion die Frachttarife senken würde; das vergiftete Rheinwasser würde das Altmühltal verseuchen und zum Himmel stinken. Ein „Geldbriefträger“ brachte auf der Bühne Schecks für Aufsichtsrat, Gutachter und Journalisten. Der Bayerische Rundfunk protestierte beim ausstrahlenden Sender Freies Berlin (SFB) gegen das „bayernfeindliche Programm“. Die Gutachten der Kanal-Gegner pronostizierten 2,7 Millionen, die Befürworter 5,5 Millionen Tonnen Fracht.

30 Jahre später Entwarnung: Der Kanal hat das Altmühltal nicht in eine Industrie-Mondlandschaft verwandelt, und der durchschnittliche Frachtverkehr hat selbst die damalige Schätzung der Optimisten übertroffen. Bei Anglern gilt das Gewässer wegen seines Fischreichtums als Top-Tip. Besonders im Großraum Nürnberg ist der Kanal nicht nur Wasserstraße, sondern auch Naherholungsgebiet und Route für den Fahrgast-Schiffsverkehr: Flußkreuzfahrten boomen, Tausende in- und ausländische Passagiere lassen sich jährlich auf Kabinenschiffen von Kelheim nach Bamberg oder retour schippern.

Vom Main-Donau-Kanal profitieren Wirtschaft und „grüner“ Tourismus

Fahrrad-Touristen schätzen den idyllischen Main-Donau-Radweg entlang des erbittert bekämpften Kanals. Doch vor allem dient das Jahrhundertbauwerk weiter dem Gütertransport: Ein durchschnittliches Frachtschiff von 100 Metern Länge mit 1.000 Tonnen Ladung ersetzt 25 Vierzigtonner-Lkw, die sonst Autobahnen verstopfen und Brücken ruinieren. Heute haben sich auch frühere Gegner längst mit dem Bauwerk abgefunden.

Zu dieser Akzeptanz trug auch ein geschichtlicher Glücksfall bei: Die Öffnung des Eisernen Vorhanges und die deutsche Wiedervereinigung.Der aufgeblühte Ost-West-Handel kam der Main-Donau-Kanal-Betreibergesellschaft unverhofft zur Hilfe. Heute verfolgt man in Deutschland andere Prioritäten: Im Februar haben sich 13 Anrainer-Kommunen zusammengeschlossen, um die Städte entlang des Kanals mit einem hochwertigen Fahrrad-Schnellweg zu verbinden, der den „Radverkehr in der Region auf ein neues Qualitätsniveau“ hebt.

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