© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Proteste im Iran
Probleme sitzen tiefer
Marc Zoellner

Wieder brennt es im Iran, erneut wagen sich unzählige mutige Bürger gegen die theokratische Diktatur auf die Straße. Dabei sind Proteste im Iran ein überaus gefährliches Unterfangen, wie Dutzende getötete Demonstranten beweisen. Um so überraschender auf den ersten Blick, daß die neuerliche Protestbewegung gerade von Frauen als angeblich schwachem Geschlecht getragen werden. Doch Frauen und Mädchen sind es, die unter der schiitischen Theokratie am meisten leiden: Durch die Verschleierungspflicht werden sie mehr als nur entrechtet – ihnen wird bildlich gesprochen das Gesicht und damit ihre Identität genommen.

Das iranische Regime zeigt offen Furcht vor den jüngsten Protesten. Teheran mobilisiert seine letzten verbliebenen Jubelperser zu regierungstreuen Demonstrationen, sperrt landesweit das Internet und geht mit Brutalität gegen die Opposition vor. Doch diese darf sich der – oftmals geheimgehaltenen – Sympathien gerade der Städter und Intellektuellen sicher sein. Auch sie haben Frauen in ihren Familien und kennen deren Leid – doch Frauenrechte sind heute wie vormals nur der Zündfunke viel tiefgreifenderer sozialer Probleme. Viele Iraner wissen: Ihr Regime hat sie in eine ausweglose Lage aus Sanktionen, Armut und Arbeitslosigkeit getrieben. Ein Neuanfang für den Iran ist nur ohne den „Obersten Führer“ Ali Chamenei und seine Mullahs noch möglich. Doch deren freiwilliger und vor allem friedlicher Abtritt ist keineswegs zu erwarten.