© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Russische Referenden in der Ukraine
Die Spielräume werden enger
Thomas Fasbender

Die sogenannten Referenden, die Rußland in vier ukrainischen Gebieten durchführen läßt, spotten jedem demokratischen Prozedere. Wahlhelfer, von Soldaten begleitet, tragen die Urnen von Haus zu Haus. Geheimhaltung ist ein Fremdwort. Ohnehin hat die proukrainische Bevölkerung das russisch besetzte Territorium größtenteils verlassen, insgesamt weit über eine Million Menschen. Zudem werden die Gebiete Donezk und Saporischschja überhaupt nur zur Hälfte von Rußland kontrolliert.

Wladimir Putin entwertet mit diesem Akt auch die Abstimmung auf der Krim 2014 – die war völkerrechtswidrig, aber die Mehrheit für Rußland war real. In der Süd- und Ostukraine geht es nur noch darum, einen Vorwand für Kriegsrecht und Generalmobilmachung zu schaffen. Oder, Gott behüte, für den Einsatz von Nuklearwaffen.

Wenn Putin die Gebiete annektiert, verurteilt er sein Land zu ewigem Bruderkrieg. Nur ein Kapitulationsfriede würde Kiew dazu bringen, den Verlust anzuerkennen – ein derzeit undenkbares Szenario. Zugleich wäre jeder russische Präsident, der sich zur Räumung der Territorien bereit erklärt, des Hochverrats schuldig. Eine Annexion der Süd- und Ostukraine, die militärisch in keiner Weise abgesichert ist, verengt die russischen Spielräume fatal. Indem sie einen Verhandlungsfrieden so gut wie unmöglich macht, taugt sie als Ausgangspunkt eines wirklich selbstzerstörerischen europäischen Konflikts.