© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Noch nicht am Ziel
Italien: Der Erfolg Giorgia Melonis muß der Beginn einer Kulturrevolution sein
Francesco Giubilei

Italien schlägt endlich ein neues Kapitel auf. Nach mehr als zehn Jahren wird Mitte-Rechts das Land wieder regieren, eine konservativ geprägte Koalition schreitet voran. Das politische Signal ist klar: Die Italiener honorieren den Zukunftsentwurf der Mitte-Rechts-Parteien, insbesondere aber der Fratelli d’Italia (FdI). Die Brüder Italiens haben die psychologische Schwelle von 25 Prozent deutlich überstiegen, Giorgia Meloni reitet auf einer Welle des Erfolgs.

In den vergangenen Jahren unternahm die FdI eine politische und kulturelle Reise. Sie näherte sich der Tradition konservativen Denkens, setzte sich für Kämpfe und Themen ein, die den traditionellen Italienern lieb und teuer sind, was Meloni sowohl in den ärmeren Schichten als auch in der Geschäftswelt zum Durchbruch verhalf. Es ist ein bemerkenswertes Ergebnis im Hinblick auf die breite Zustimmung in der Bevölkerung, die Melonis Entscheidung für eine klare und konsequente Linie belohnte. 

Der Aufschrei vieler internationaler Medien und Politiker mit dem Vorwurf der „faschistischen Gefahr“ bleibt indes lächerlich. Giorgia Meloni wurde in den 1970er Jahren geboren. Ihre Partei existiert seit 2012 und ist seit jeher eine institutionelle Rechtspartei, die in vielen Regionen regiert. Meloni ist zudem Präsidentin der EKR-Fraktion im Europäischen Parlament, die von den britischen Tories gegründet wurde und sicherlich keine extremistische Gruppe ist.

Innerhalb der Mitte-Rechts-Koalition erreichte Forza Italia, die liberale Partei von Silvio Berlusconi, acht Prozent der Stimmen und erzielte vor allem in Süditalien ein gutes Ergebnis. In Anbetracht des Alters von Berlusconi (86) und der Existenz eines linksliberalen Lagers, bestehend aus Carlo Calenda und Matteo Renzi, das viele Stimmen an die Forza Italia abgab, ist das Ergebnis von Berlusconis Partei respektabel. Es bestätigt die Existenz eines gemäßigteren Flügels innerhalb der Mitte-Rechts-Koalition.

Dafür gab es ein Erdbeben innerhalb der Lega, die nach 34 Prozent bei den Europawahlen 2019 nun auf 8,5 Prozent der Stimmen abstürzte. Matteo Salvini versucht verzweifelt die schwammige Position seiner Partei zu kompensieren, die nicht mehr als Anti-Establishment-Kraft, aber eben auch nicht als wichtige institutionelle und regierende Partei angesehen wird. Zweifellos hat die Erfahrung der Draghi-Regierung tiefe Spuren bei der Lega hinterlassen. Der Zusammenbruch von Salvinis Partei führte schließlich in Verbindung mit dem exponentiellen Wachstum der FdI zu einer Übertragung von Stimmen zwischen den beiden politischen Kräften. Obwohl es einige physiologische Unterschiede zwischen den drei Parteien der Koalition gibt, wird Mitte-Rechts in Wirklichkeit einheitlich regieren, wie es bereits in vielen italienischen Regionen der Fall ist.

Anders sieht es im linken Lager aus, dessen Niederlage nicht nur zahlenmäßig, sondern auch in bezug auf die politische Strategie enorm ist. Die Sozialdemokraten (PD) fielen mit ihrem Spitzenkandidaten Enrico Letta unter die psychologische Schwelle von 20 Prozent. Dazu kam, was viele ahnten: die Aufteilung der linken Parteien in drei Blöcke begünstigte das Mitte-Rechts-Bündnis. Das Wahlgesetz sieht nämlich ein System mit nicht nominellen Wahlkreisen vor, die mit einem Mehrheitswahlrecht ausgestattet sind. Einfach ausgedrückt: Die Koalition, die eine Stimme mehr erhält, wählt den Abgeordneten. 

Und so verlor die PD selbst in traditionell linken Wahlkreisen wie in der Emilia Romagna und der Toskana, da sich die Stimmen zwischen ihr und Azione/Italia Viva (der zentristischen Liste von Carlo Calenda und dem ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi) sowie der Fünf-Sterne-Bewegung, die allein antrat, verteilten. Die Fünf Sterne verzeichneten einen starken Aufschwung in Süditalien, der vor allem auf den engagierteren Wahlkampf von Giuseppe Conte zurückzuführen ist. Für die Linke bleibt nur eine Phase des Nachdenkens und der Opposition.

Meloni aber, die aller Wahrscheinlichkeit nach Ministerpräsidentin wird, verspricht vollmundig: Das Wahlergebnis sei ein Ausgangspunkt und kein Zielpunkt. Sie ist sich der Herausforderungen bewußt, die in den kommenden Monaten lauern: von den hohen Energiekosten bis zur Inflation, von den Beziehungen zur EU bis zur schwierigen geopolitischen Lage. 

Die nächsten Wochen werden entscheidend sein, angefangen bei der Bildung der richtigen Regierungsmannschaft, der Wahl der Minister und Staatssekretäre, bis hin zu weiteren wichtigen Ernennungen in den Behörden, etwa beim öffentlich-rechtlichen Sender RAI und dessen Tochtergesellschaften. Wir brauchen das, was die Amerikaner ein „Spoils System“ nennen, einen grundlegenden Austausch in den Institutionen, der bewußt macht, was die Linke seit 1968 angerichtet hat. Diese Arbeit wird zweifellos Zeit in Anspruch nehmen, ist aber notwendig, um der kulturellen Hegemonie entgegenzuwirken.

Neben der Wahl von entsprechenden Personen gibt es jedoch noch ein tieferes Thema, das für die nächste Exekutive Priorität hat, nämlich die Notwendigkeit, Themen, die der konservativen Welt wichtig erscheinen, weiter zu fördern. Unter diesem Gesichtspunkt ist eine echte Kulturrevolution erforderlich, um eine auf historisch konservativen Werten basierende Politik in den Mittelpunkt des Regierungshandelns zu stellen. 

Die Zustimmung der Bevölkerung und die große Mehrheit im Parlament ermöglichen es „Mitte-Rechts“, eine Politik umzusetzen, die zwar von den Medien und der Unterhaltungsindustrie angegriffen wird, aber dennoch grundlegende Schritte zum Aufbau einer kulturellen Hegemonie beinhaltet. Der Wahlsieg ebnet den Weg für eine konservative Kulturrevolution, indem er die prezzolinische Devise „Innovation durch Konservierung“ wiederbelebt. Nationales Interesse, Familie, christliche Wurzeln, Europa, Natur und Freiheit sind die wichtigsten Schlagworte, auf die sich dauerhaftes staatliches Handeln stützen muß. Wir werden die Kraft haben müssen, Entscheidungen zu treffen, die nicht einfach sind, die zu Kritik und Angriffen der Medien führen. Es wird schwierige Momente geben, aber wir brauchen den Mut, Italien zu verändern. Ein Mut, der Giorgia Meloni nie gefehlt hat.






Francesco Giubilei ist Präsident der konservativen Tatarella-Stiftung und Vorsitzender der italienischen Denkfabrik Nazione Futura.