© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Ach, auch schon wieder da?
Warnung vor erneuter Asylkrise: Der Einwanderungsdruck nach Deutschland steigt / Politiker äußern sich besorgt
Christian Vollradt

Ein neues Gespenst geht um im Lande: die Asylkrise. Längst werden Szenarien vergleichbar denen der Jahre 2015 und 2016 nicht mehr ausgeschlossen. Die Stimmung in der Bevölkerung, so die Befürchtung, könnte noch angespannter sein, schließlich kommen mit den immens gestiegenen Energiepreisen und der Inflation weitere Krisen hinzu. Und als der sprichwörtliche rosa Elefant im Raum: die AfD, die von der allgemein gestiegenen Unzufriedenheit profitieren könnte. Aktuell kletterte die Partei in den Umfragen auf bis zu 15 Prozent im deutschlandweiten Schnitt. 

Mutmaßlich war das auch der Grund, weswegen sich vergangene Woche die Unionsfraktion im Bundestag eine ganze Stunde zu diesem Thema und den damit verbundenen Bedrohungen die Köpfe heiß redete. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Thorsten Frei, warnte, daß sich von Berlin weitgehend unbemerkt eine große neue Flüchtlingswelle aufbaut.

„System ist schon weitestgehend ausgelastet“

„Der Migrationsdruck steigt immer weiter“, warnte dann auch am Montag die stellvertretende Fraktionsvorsitze, Andrea Lindholz. Die ersten Notunterkünfte müßten bereits wegen Überfüllung schließen. Deutschland habe ukrainischen Flüchtlingen Schutz geboten“, doch seit Wochen steigen auch die Asylbewerberzahl massiv an, mahnte die Bundestagsabgeordnete. „Das wird zuviel. Immer mehr Kommunen sind jetzt schon am Limit. „Das Abwarten der Bundesregierung in dieser Lage ist fahrlässig.“ Tatsächlich warnen die Kommunen bereits vor einer dramatischer werdenden Lage und Überlastungen, die an die Zustände von vor sieben Jahren erinnern. „Die Kommunen stehen schon heute vor einer Situation wie in den Jahren 2015 und 2016, und vieles deutet darauf hin, daß im Winter noch sehr viel mehr Menschen nach Deutschland fliehen werden“, gab sich der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg in der Bild am Sonntag besorgt. 

Knapp eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, dazu bis August 115.402 Erstanträge auf Asyl gestellt, vor allem von Syrern, Afghanen und Irakern. Besorgt über die steigende Zahl derer, die über das Mittelmeer oder die Balkanroute nach Deutschland streben, zeigte sich auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser /(SPD). Man habe die Grenzkontrollen zu Österreich verlängert, an der tschechischen Grenze kontrolliere die Bundespolizei verstärkt per Schleierfahndung. Die Botschaft: Wir tun doch was. 

Daß es aber im Winter wieder mit Feldbetten ausgestattete Turnhallen geben wird, halten kommunale Verantwortliche für nahezu unausweichlich. Im nordrhein-westfälischen Schwerte hat man bereits den Bürgersaal des Rathauses für die Unterbringung von Flüchtlingen umgebaut. Alle Aufnahmekapazitäten seien erschöpft, sagte ein Sprecher der Stadt der Deutschen Presse-Agentur. „Die steigenden Zahlen treffen auf ein System, das bereits weitestgehend ausgelastet ist“, zitierte die Welt den Oberbürgermeister des niederbayerischen Straubing, Markus Pannermayr (CSU). Notunterkünfte seien die logische Folge, so der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags.

Nicht alle sprechen es aus, doch die meisten denken mit, welchen politischen Sprengstoff eine Zuspitzung der Einwanderungssituation birgt – sozusagen „on top“ zur Angst der Einheimischen vor unbezahlbaren Heizkostenabrechnungen oder einer kalten Wohnung. Die Asylkrise um das Jahr 2015 herum hatte der kurz zuvor noch am Boden liegenden AfD einen wahren Auftrieb gegeben und 2017 erstmals nach Jahrzehnten wieder einer Partei rechts von Union und FDP in den Bundestag verholfen. In diesem Zusammenhang verwies der Chef des Umfrageinstituts Insa, Hermann Binkert, auf die sogenannte Potentialanalyse, die seine Mitarbeiter stets vornehmen. Den aktuellen Zahlen zufolge könnten sich wieder mehr Menschen vorstellen, die AfD zu wählen. Vor allem aber hätten vor kurzem noch 75 Prozent der Befragten angegeben, die AfD auf keinen Fall zu wählen. Dieser Wert sei aktuell auf nur noch 61 Prozent gesunken. 

Unzufriedenheit auch in der Mitte zu finden

Im Osten der Republik ist die AfD derzeit sogar stärkste Kraft in den Umfragen. Wäre am kommenden Sonntag Bundestagswahl, würde die AfD in den jüngeren Bundesländern 27 Prozent erreichen. Dahinter folgt die CDU mit einem Punkt weniger. SPD und Grüne kommen im Osten nur auf 15 bzw. 14 Prozent. Da auch die FDP nur 7 Prozent erreicht, würden nur 36 Prozent hier die Ampel-Parteien wählen. Die Linke, einst politische Heimat für die spezielle Ost-Identität kommt auf 8 Prozent. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mahnte bereits, die Unzufriedenheit mit der Politik der Regierung sei nicht nur an den Rändern des politischen Spektrums zu finden, sondern „auch unter den Anhängern der Mitte-Parteien“. Deshalb müsse man die Ängste ernst nehmen.

Wie heikel das ist, bekam dieser Tage der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz zu spüren. Er hatte kritisiert, daß es womöglich ukrainische Flüchtlinge gebe, die nach Deutschland einreisten, sich die ihnen von der Politik offerierte Sozialhilfe abholen und wieder zurückfahren. Weil er das Wort „Sozialtourismus“ verwendete, brach ein Sturm der Entrüstung los. Am Dienstag mittag ruderte Merz zurück und bedauerte seine Wortwahl. Sein Hinweis habe ausschließlich der „mangelnden Registrierung“ von Asylsuchenden gegolten. „Mir lag und liegt es fern, die Flüchtlinge aus der Ukraine, die mit einem harten Schicksal konfrontiert sind, zu kritisieren“, betonte der CDU-Chef.