© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Über Kreuz liegen
Ukraine-Krieg: Blau-gelbe Flaggen mit verbotenen NS-Symbolen beschmiert / Steigt so die Zahl rechtsextremer Straftaten in der Polizei-Statistik?
Hinrich Rohbohm

Der Fall sorgt noch immer für viel Verärgerung in der nordbayerischen Kleinstadt Hilpoltstein: „Das ist eine unglaubliche Sauerei“, schimpft eine Anwohnerin, als sie auf den Vorfall angesprochen wird. Bereits im Frühjahr hatten Unbekannte mit einem Draht ein Pappschild, bemalt mit einem Hakenkreuz, an einer Ukraine-Flagge angebracht. Aus Solidarität mit dem angegriffenen Land habe man die blau-gelbe Flagge im Garten gehißt, erzählt die Anwohnerin der JUNGEN FREIHEIT. Wer für die Verunstaltung verantwortlich war, wisse bis heute niemand. „Dem Symbol nach waren da wohl irgendwelche Neonazis am Werk“, mutmaßt die Frau. Doch in diesem Fall dürften andere Täter mit ganz anderer Motivation am Werk gewesen sein.

Hilpoltstein ist kein Einzelfall. Recherchen der jungen freiheit zufolge ist es bundesweit zu mehr als hundert solcher Taten gekommen, bei denen ukrainische Flaggen mit einem Hakenkreuz beschmiert wurden. Meistens sprühen die Täter das verbotene Symbol mit schwarzer Farbe auf das Fahnentuch. 

Die derzeitige Aufklärungsquote: null Prozent. Bisher konnte die Polizei nirgendwo einen der Täter dingfest machen. Lediglich in Nordrhein-Westfalen gebe es „vereinzelt“ Hinweise „auf Tatverdächtige, welche dem pro-russischen Lager zuzurechnen sind“, wie das dortige Landeskriminalamt auf Anfrage der jungen freiheit mitteilte. Die Behörde hatte bereits am Tag des Kriegsbeginns eine eigene Informationssammelstelle eingerichtet. In dem Bundesland habe es seitdem eine „niedrige zweistellige Zahl derartiger Delikte“ gegeben.

Tatsächlich spricht einiges dafür, daß es sich bei diesen konkreten Hakenkreuz-Schmierereien nicht um das Machwerk von Rechtsextremisten, sondern das fanatischer Putin-Anhänger handelt. Denn: Die russische Propaganda bezeichnet die Ukraine stets als Staat, der von „Nazis“ beherrscht und von diesen befreit werden müsse. Diesem Narrativ zufolge würde ein nationalsozialistisches Symbol auf der blau-gelben Flagge dies versinnbildlichen. Schon 2014 waren während des hybrid geführten Krieges im Donbas mit schwarzer Farbe beschmierte Hakenkreuze auf ukrainischen Flaggen aufgetaucht.

Die sind hierzulande nicht das einzige Symbol, das die Täter in ihrem Furor auf Blau-Gelb hinterlassen. Auch das „Z“ – sinnbildlich für die Parole „Za pobyedu“, zu deutsch „Für den Sieg“ – das auf den russischen Militärfahrzeugen prangt, taucht auf. In Lingen bei Osnabrück etwa hatten  Unbekannte den Zaun eines Grundstücks mit dem Symbol besprüht. Das wahrscheinliche Motiv: Im Garten dahinter hing eine Ukraine-Fahne. Im vergangenen Monat war das Auto einer ukrainischen Ärztin in Herford mit dem Z-Symbol beschmiert  worden. Und auch das Grab des 1959 ermordeten ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera auf einem Münchner Friedhof wurde mit solchen Symbolen verunstaltet.

Spricht man mit Menschen am Ort des Geschehens über die möglichen Beweggründe für die Taten, so herrscht oftmals große Unkenntnis. In den Zeitungen erscheinen nur kleine Randnotizen. Meldungen der Polizei über die Sachbeschädigung. Das war’s. „Ich wohne zwar schon lange im Ort, aber davon habe ich kaum etwas mitbekommen“, gesteht ein Ladeninhaber im niedersächsischen Maschen bei Hamburg. Ein Kunde von ihm erinnert sich an den Artikel einer örtlichen Zeitung. „Aber über die näheren Hintergründe war da auch nichts zu lesen“, sagt er. 

Kein Interesse, das Thema öffentlich zu machen

Unbekannte hatten Tür, Briefkasten und Eingangstreppe eines Reihenhauses im Ort mit roter Farbe beschmiert. In seinem Briefkasten hatte der Hausbesitzer, der ebenfalls die Ukraine-Flagge gehißt hatte, einen Zettel vorgefunden. Die eine Seite des Zettels zeigte die blau-gelbe Flagge. Die Rückseite war mit der Aufschrift „weg“ versehen. Die meisten Geschädigten haben zudem kein Interesse, das Thema an die Öffentlichkeit zu bringen, wollen den Tätern nicht noch zusätzliche Aufmerksamkeit schenken. „Das wollen die doch nur“, gibt ein Rentner in Ostercappeln im Landkreis Osnabrück gegenüber der JF zu bedenken. Auch in seinem Ort gab es diesbezügliche Hakenkreuz-Beschmierungen. „Aber daß so etwas überall in Deutschland passiert und die Täter wahrscheinlich gar keine Rechtsextremisten sind, ist mir noch gar nicht klar gewesen“, gesteht er. 

Heikel ist die Frage, wo die betreffenden Delikte in der Polizeilichen Kriminalstatistik des Jahres 2022 auftauchen werden. Zwar werden politische Straftaten, die in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg stehen, von den meisten Landeskriminalämtern gesondert erfaßt, teilten die jeweiligen Behörden der jungen freiheit mit. 

Doch sollte im Fall von Hakenkreuz-Schmierereien kein Tatverdächtiger festgestellt werden können – das ist die Regel –, ordnen sie die meisten Länder grundsätzlich als „Politisch motivierte Kriminalität – rechts“ ein. Die einzigen Bundesländer, die hier anders verfahren, sind Hamburg und Bayern. Der Freistaat verzeichnet diese Delikte ohne Tatverdächtige in der Statistik als „nicht zuzuordnen“ . Die Hansestadt Hamburg führt Propagandadelikte, die offensichtlich im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg stehen, in der Kategorie „Politisch motivierte Kriminalität – ausländische Ideologie“.