© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Roooobert!
Im Streßtest durchgefallen: Kaum ein Ministerium ist in der aktuellen Energiekrise so wichtig wie das des grünen Vizekanzlers. Doch Deutschlands lange Zeit beliebtester Politiker erweist sich als zunehmend überfordert
Werner Becker

Aus dem Liebling der Umfragen und der Redaktionen droht der Problembär der Ampel-Koalition zu werden. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) inszenierte sich zwar schon früher gern als jemand, der zerknirscht zwischen zwei gleich schlechten Lösungen zu wählen habe. Doch das Bild vom Schmerzensmann, der sich fürs Staatswohl aufopfert, bekommt Risse. Darunter kommt ein Politiker zum Vorschein, der offensichtlich mit der Leitung seines Ressorts in einer sich verschärfenden Krisenlage überfordert ist. Und der seinen Hilferuf auf einem Umweg an die Öffentlichkeit lanciert. 

Am Donnerstag vergangener Woche offenbarte Habeck bei einem Kongreß des Bundesverbands der Deutschen Industrie, wie es seinen Mitarbeitern im Ministerium angesichts von Verstaatlichungen, Rettungspaketen und innerkoalitionärer Abstimmungsprozesse ergehe: „Die Leute werden krank. Die haben Burnout, die kriegen Tinnitus. Die können nicht mehr“, sagte ihr Vorgesetzter. Kritiker unken, daran könne zuvörderst der Chef selbst schuld sein. 

„Die Energiekrise ist nicht die erste Krise, aber Robert Habeck ist zum ersten Mal in Regierungsverantwortung im Bund“, zitiert das Handelsblatt einen Ministerialen. Aus der Oppositionsrolle sei es immer einfach zu konstatieren, daß nicht genug passiere, aber kaum sei Habeck selber in Verantwortung, verweise er auf die Überlastungssituation, so der Mann, der verständlicherweise anonym bleiben will. Im politischen Berlin meinen einige, der Grüne habe nach der Regierungsübernahme in der Führungsebene seines Hauses Vertraute installiert, deren Kompetenzen und Interessen fast nur auf den Zuständigkeitsbereich Klima ausgerichtet seien. 

„Mit früherer Hilfe wären wir jetzt nicht zahlungsunfähig“

Den erfahrenen Leuten aus der ministeriellen Stammbesatzung gegenüber, die jahrzehntelang mit Energiefragen befaßt sind, sei er eher mißtrauisch eingestellt. Das ging so weit, daß einem Bericht der Zeit zufolge die für Spionageabwehr zuständige Abteilung des Verfassungsschutzes angeblich auf zwei leitende Beamte angesetzt wurde, um zu untersuchen, ob diese für Rußland spioniert haben könnten. Aufgefallen waren die Betroffenen, weil sie intern dem Minister widersprochen hatten. Offiziell wurde von all dem nichts bestätigt; daß Krisensitzungen im Amtssitz an der Berliner Invalidenstarße folgten, ließ sich nicht geheimhalten.

Ausbaden müssen solche Pannen und das der Überforderung folgende Chaos indes ganz andere. Und für sie steht weit mehr auf dem Spiel als ein Burnout. Leute etwa wie Volker Jung. Erst 2019 hatte er den Toilettenpapierhersteller Hakle übernommen. Trotz wenig rosiger Bilanzen setzte er großes Vertrauen in die Marke mit dem bekannten Namen. Doch dann machte ihm die Energiekrise einen Strich durch die Rechnung. Anfang September mußte er Insolvenz beantragen. Die Preise für Strom und Gas waren nicht mehr zu stemmen, stiegen schneller, als er die Kosten an den Handel weitergeben konnte. „Das konnten wir nicht abfedern“, sagte Jung dem Handelsblatt. 

Zwar hatte Hakle Hilfen aus dem Energiekostendämpfungsprogramm (EKDP) der Bundesregierung beantragt, doch die bürokratischen Mühlen arbeiteten langsam und verzögerten die Angelegenheit so lange, bis Jung nicht mehr konnte. Nun, nach der Insolvenz, ist die Firma nicht mehr empfangsberechtigt, und das, obwohl die Auftragsbücher voll sind. Doch er wird es keinen Cent aus dem EKDP sehen. Denn die Vorgaben der Europäischen Kommission verbieten staatliche Beihilfen für insolvente Unternehmen. „Hätten wir die Staatshilfe schneller bekommen, wären wir jetzt nicht zahlungsunfähig“, beklagte Jung. Es sei um einen siebenstelligen Betrag gegangen, den Hakle dringend zur Finanzierung der Energiekosten gebraucht hätte. 

Das Schicksal des Toilettenpapierherstellers droht in Deutschland zahlreichen Firmen: Die explodierten Energiekosten lasten vielen wie ein Mühlstein um den Hals. Und anders als von Habeck nahegelegt, können sie nicht einfach für ein paar Wochen oder Monate die Produktion oder den Vertrieb einstellen, sondern müssen Insolvenz beantragen. Das aber bedeutet: keine Chancen mehr auf staatliche Beihilfen. Gleiches gilt teilweise auch für Entlastungen nach dem Energiesteuerrecht. 

Das Problem ist: Davon sind nicht nur insolvente Unternehmen betroffen, sondern auch solche, die sich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befinden. Nach einer Definition des Zolls gilt ein Unternehmen als „Unternehmen in Schwierigkeiten, wenn es auf kurze oder mittlere Sicht ohne staatliches Eingreifen bzw. ohne staatliche Unterstützung so gut wie sicher zur Einstellung seiner Geschäftstätigkeiten gezwungen sein wird“. Und die Sache ist noch komplizierter. Denn Unternehmen, die Hilfen nach dem EKDP beantragen, müssen Betriebsverluste nachweisen. Im Klartext bedeutet das: Macht die Firma keine Verluste, gibt es keine Unterstützung, macht sie zu große Verluste, gibt es ebenfalls kein Geld. Energierechtsexperten sprechen deshalb von einem Drahtseilakt für die betroffenen Unternehmen. 

„Bundesregierung doktert nur an Symptomen herum“

Und dann gibt es noch eine ganze Reihe von Betrieben, denen der Zugang zum EKDP von vornherein verwehrt ist, weil ihre Branchen nicht auf der sogenannten KUEBLL-Liste der EU stehen. Die Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen der EU-Kommission regeln, wer unterstützungsberechtigt ist und wer nicht. Und so erreichen die Wirtschaftspolitiker im Bundestag derzeit zahlreiche Hilferufe von Firmen und Verbänden, denen das Wasser bis zum Hals steht, die aber auf keine Hilfen aus dem EKDP hoffen können. Die Bäckerbranche ist so ein Fall. Ebenso der Thüringer Porzellanhersteller Kahla, dessen Energiekosten sich von 2 Millionen Euro auf 6 Millionen Euro verdreifacht haben. Bei einem geplanten Jahresumsatz von 12 Millionen Euro ist das nicht mehr zu stemmen. Dem Traditionsunternehmen droht die Schließung. 

Daran ändert auch die Kehrtwende der Ampel an der geplanten Gasumlage nichts (siehe Seite 12).Für die Opposition ist all das ein gefundenes Fressen. Deutschland brauche keinen „Bundes-Schamanen“, sondern einen Wirtschaftsminister, der die richtigen Entscheidungen treffe, spottete die CDU-Abgeordnete Julia Klöckner. Genau daran wüchsen allerdings die Zweifel. 

„Die Energiekrise ist Robert Habeck längst über den Kopf gewachsen“, meint auch der wirtschaftspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Leif-Erik Holm, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Die Ampel habe schlicht keinen Plan, wie sie aus der Sackgasse der gescheiterten Energiewende wieder herauskommen wolle: „Ob Gasumlage, Energiekostendämpfungsprogramm oder Entlastungspäckchen: Die Bundesregierung doktert immer nur an den Symptomen herum. Das wahre Problem, die Energieknappheit und die damit verbundene Preisexplosion, paßt nicht ins pseudogrüne Konzept und bleibt deshalb ungelöst.“ Dabei müßten jetzt schnellstens alle Energiekapazitäten wie Kohle und Kernkraft ans Netz gebracht werden, und auch Nordstream 2 dürfe kein Tabu sein, fordert die AfD. Nur so ließen sich die Preise senken. Andernfalls drohe eine Pleitewelle von bislang nicht gekanntem Ausmaß.

Und die Probleme könnten sogar noch schlimmer werden. Denn neben der Privatwirtschaft geraten auch immer mehr kommunale Energieversorger aufgrund der hohen Beschaffungskosten in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Wegen Beteiligungen der öffentlichen Hand können auch sie keine Hilfen aus dem EKDP beantragen. In Berlin arbeitet man deshalb derzeit an einem Rettungsschirm für Stadtwerke. Wann dieser aber kommt, welchen Umfang er hat und wie er konkret aussehen soll, steht noch in den Sternen.

Foto: Der einsame Herr Habeck: Seine Mitarbeiter würden bis zur Erschöpfung arbeiten, meint der Wirtschaftsminister. Aber das nützt den von Insolvenz bedrohten Unternehmen nichts