© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Grüße aus … Bozen
Unrecht vergeht nicht
Paul Decarli

Stellen Sie sich einmal vor, auf ihrem morgendlichen Weg zur Arbeit würden sie durch die Martin-Bormann-Allee schreiten, weiter vorbei an einem Siegesdenkmal der NS-Zeit, bis sie am Gebäude ihres Arbeitgebers ankommen, dessen Fassade faschistische Inschriften zieren. In der Bundesrepublik des 21. Jahrhunderts völlig undenkbar, in Südtirol jedoch bittere Realität. Seit Jahrzehnten wird diese Problematik von patriotischen Kräften rund um den Südtiroler Schützenbund detailliert aufgearbeitet und angesprochen. 

Man könnte meinen, die Aktivisten würden für dieses antifaschistische Handeln breiten Zuspruch aus der Bevölkerung und der Politik erhalten – dem ist allerdings nicht so. „Das Gegenteil ist eher der Fall, denn auf perfide Art und Weise werden die Symboliken der faschistischen Ära zum italienischen Kulturgut gezählt und strahlen damit tagtäglich die grausame Version zur Unterdrückung der deutschen und ladinischen Volksgruppe in Südtirol aus“,  kommentiert der Landespressereferent der Schützen, Michael Demanega, die Situation. 

Zu hoffen bleibt, daß dieses Zeichen endlich den Weckruf zu einer Aufklärung des Faschismus in Südtirol gibt.

Demanega ist seit diesem Jahr im Zuge der Neuwahlen der Führungsriege des Schützenbundes im Amt und hat gemeinsam mit seinen Mitstreitern bis dato ein außerordentliches Tempo in puncto Volkstumspolitik an den Tag gelegt: So wurde mit dankbarem Pathos der Freiheitskämpfer Heinrich Oberleiter nach Jahrzehnten im Exil wieder in seiner angestammten Heimat Südtirol begrüßt und neue soziale Hilfsprojekte durch den Herz-Jesu-Notstandsfonds umgesetzt. 

Nun findet am 1. Oktober zum 100. Jahrestag des faschistischen Marsches auf Bozen eine weitere Großveranstaltung der Schützen statt, bei der mehrere tausend Patrioten erwartet werden. Bei diesem Marsch steht die geistige Haltung für ein friedliches Zusammenleben und eine historische Wiedergutmachung der faschistischen Verbrechen im Vordergrund. Diese Botschaft wurde vorab in einem dreisprachigen offenen Brief auch den hohen Vertretern der Uno, der Europäischen Union, der österreichischen, italienischen und den drei Landesregierungen Tirols mit auf den Weg gegeben. Demanega meint zum Marsch: „Wir werden in Ehrerbietung und Dankbarkeit gegenüber jenen Landsleuten auftreten, die unter schweren persönlichen Opfern das historische Unheil von unserer Heimat abgewehrt haben. Wir setzen ein Zeichen für Tirol.“ Zu hoffen bleibt, daß dieses Zeichen endlich den Weckruf zu einer Aufklärung des Faschismus in Südtirol gibt und nicht wie so oft im Sande der Wohlstandsgesellschaft versickert – denn bis heute gibt es auf italienischer Seite keine offene Debatte über nationalistische und faschistische Symbolik und keine ehrliche historische Aufarbeitung oder Wiedergutmachung.