© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Auf den Schleudersitz gewählt?
Mitte-Rechts-Block siegt in Italien: Seine Einigkeit steht unter innen- und außenpolitischem Druck
Fabio Collovati

Während die Reaktionen im europäischen Ausland, primär in Deutschland, geradezu hysterisch ausfielen, ging man in Italien am Tag nach der Wahl schnell wieder zur Tagesordnung über. „Die Bürger haben entschieden. Mitte-Rechts hat eine klare Mehrheit, wir gehen in die Opposition“, erklärte Enrico Letta, Vorsitzender und Spitzenkandidat der Sozialdemokraten nüchtern und kündigte seinen Rückzug aus der Politik an. Kurze Zeit zuvor hatte Giorgia Meloni die Stunde des Triumphs voll genossen. Strahlend präsentierte sich die Vorsitzende der rechtsnationalen Fratelli D’Italia (Brüder Italiens) in einem römischen Luxushotel vor ihren Anhängern. „Jetzt wird es unsere Aufgabe sein, die Menschen nicht zu enttäuschen und unser Möglichstes zu tun, um der Nation ihre Würde und ihren Stolz zurückzugeben“, sagte die 45jährige. Aller Voraussicht nach wird sie die erste Ministerpräsidentin des Landes. Und mit ihr übernimmt erstmals eine Vertreterin einer Partei den Chefsessel ein, die zumindest indirekt in der Traditionslinie der neofaschistischen Sozialbewegung steht.

Die Wahl endet mit einem großen Gewinner und vielen Verlierern

Doch das war in Italien nach der Wahl kein Thema. Meloni habe alle Möglichkeiten, eine stabile Regierung zu bilden, waren sich die Kommentatoren einig. Das neue, durchaus komplizierte Wahlsystem macht es möglich. Gut 44 Prozent reichten dem Mitte-Rechts-Bündnis, dem neben Melonis Partei die rechtspopulistische Lega Matteo Salvinis und die konservative Forza Italia von Silvio Berlusconi angehören. Vor der Wahl eingegangene Listenverbindungen werden vom neuen System bevorzugt, so daß Meloni mit einer absoluten Mehrheit in beiden Parlamentskammern regieren kann. Mit 26 Prozent wurden die Brüder Italiens mit Abstand stärkste Partei. Abgeschlagen auf Platz zwei rangieren Lettas Sozialdemokraten, die nicht einmal 20 Prozent erreichten. Die von Abspaltungen und Querelen gebeutelte Fünf-Sterne-Bewegung verlor nahezu die Hälfte ihrer Stimmen, erreichte mit 15 Prozent aber weitaus mehr, als in Umfragen vorhergesagt.

Seit rund einem Jahr steht der ehemalige Ministerpräsident Giuseppe Conte an der Spitze der „Fünf Sterne“. Vor drei Jahren noch führte er als parteiloser Ministerpräsident eine Regierung mit der rechten Lega, zu Beginn der Corona-Krise wurde er als solider Staatsmann gefeiert. Doch die Regierung zerbrach, die „5 Sterne“ spalteten sich und Conte übernahm das Ruder in einer Truppe, die schon als Auslaufmodell galt. „Wir haben gewonnen und wir gehen erhobenen Hauptes in die Opposition“, erklärte Conte vor allem mit Blick auf die spektakulären Resultate im Süden, wo er mit der Forderung nach einem Bürgergeld punkten konnte. In der Metropole Neapel stimmten mehr als 40 Prozent für die „Fünf Sterne“ in allen süd-italienischen Regionen lag die linkspopulistische Protesttruppe an erster Stelle.

Von solchen Resultaten konnte Contes früherer Koalitionspartner Salvini nur träumen. Die Lega, die bei den Europawahlen 2019 noch mehr als 30 Prozent erreicht hatte, schmierte auf 8,7 Prozent ab. Selbst in ihren Hochburgen im Norden zogen Melonis Brüder Italiens vorbei. Fahrig und langatmig präsentierte sich der Lega-Chef am Nachmittag nach der Wahl. In einem mehr als einstündigen Statement verwies Salvini auf „gute Ergebnisse“ bei den gleichzeitig stattgefundenen Regionalwahlen im Süden und stellte fest: „Wir werden für eine stabile Regierung gebraucht.“ Da das Wahlsystem das Siegerbündnis bevorzugt, stellt die Lega trotz eines herben Verlustes nahezu so viele Abgeordnete wie die Sozialdemokraten. Ein Trostpflaster, mehr nicht.

Die Lega diskutiert über die Rückbesinnung zur Regionalpartei

Viele Wähler haben Salvini nicht verziehen, daß er die Regierung Conte zu Fall brachte, um anschließend einer Allparteienkoalition des ehemaligen EZB-Bankers Mario Draghi beizutreten. „Wir müssen versuchen, die Gründe dieser Niederlage zu verstehen“, sagte Luca Zaia, Präsident der Region Venetien und ein interner Gegenspieler Salvinis. Die Rolle des Führers im rechten Lager hat Salvini an Meloni abtreten müssen, um die an der Spitze seiner Partei wird er kämpfen müssen. Es mehren sich die Stimmen, die ein Ende der landesweiten Ausdehnung der früheren Lega Nord fordern, und es mehren sich die, die Salvini für zu sprunghaft halten. Zaia, der als Vertreter des „Regierungskurses“ gilt, gab seinen Mitstreitern schon auf den Weg, man müsse „seriös und im Sinne der Wähler“ agieren. Staatsmännisch gab sich auch Silvio Berlusconi. Mehrfach verurteilt und zuletzt mit einem Mandatsverbot versehen, zog der 85jährige wieder ins Parlament ein. Das sichert ihm abermals eine strafrechtliche Immunität. Die 8,2 Prozent, die die Forza Italia erzielte, waren erwartbar. „Ich habe meine Arbeit abermals in den Dienst des Landes gestellt, das ich so liebe“, sagte Berlusconi und stellte fest: „Man wird uns für eine Regierung benötigen.“ An deren Spitze wird aber Meloni stehen. Eine ihrer ersten Aufgaben wird es sein, ihre Mitstreiter bei Laune zu halten. Salvini, so spekulierten italienische Medien, könnte abermals Innenminister werden, Berlusconi als Präsident des Senats noch einmal eine große Bühne erhalten. Italiens Regierungen hielten seit Kriegsende im Durchschnitt nur etwa 14 Monate lang. Die frisch gekürte Wahlsiegerin gibt sich deshalb demütig.





Stimmen zur Wahl

„Bravo, Giorgia. Ein verdienter Sieg.“

Viktor Orbán, Ungarns Ministerpräsident


„Giorgia Meloni wird eine Ministerpräsidentin sein, deren politische Vorbilder Viktor Orbán und Donald Trump heißen.“

Katarina Barley (SPD), Vizepräsidentin des EU-Parlaments 


„Gratulation, Giorgia.“

Liz Truss, Premierministerin des Vereinigten Königreichs


„In Zeiten der Unsicherheit greifen populistische Tendenzen um sich und enden in einer Katastrophe, weil sie kurzatmige Antworten auf sehr komplizierte Fragen anbieten.“

José Manuel Albares, Außenminister von Spanien


„Rußland begrüßt alle politischen Kräfte, die dazu in der Lage sind, den Rahmen des etablierten Mainstream – der von Haß auf Rußland geprägt ist – zu verlassen und wieder ein kleines Stück mehr Objektivität und Konstruktivität in den Beziehungen zu unserem Land zu zeigen.“

Dimitri Peskow, Kreml-Sprecher


„Wir hätten uns ein anderes Wahlergebnis beileibe gewünscht.“

Mario Czaja, CDU-Generalsekretär


„Wieviel Überlegenheitsgefühl, Arroganz und Verachtung für demokratische Regeln muß man in sich tragen, um über das Ergebnis der Wahlen eines anderen Landes zu sagen: ‘Die falsche Person hat gewonnen’?“

Andrzej Duda, polnischer Präsident