© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Der Boom beim Flüssigerdgas erfreut vorausschauende Aktionäre
Verdienen mit Sanktionen
Thomas Kirchner

Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, ist regelmäßig mit erfolgreichen Aktiengeschäften in den Schlagzeilen. Für einfache US-Parlamentarier gelten die strengen Insiderhandelregeln nicht, sie können vertrauliche Informationen aus ihrer Arbeit im Kongreß für private Spekulationsgeschäfte nutzen. Nur melden müssen sie ihre Investitionen, was inzwischen viele veranlaßt, die Investmentstrategie der 82jährigen kalifornischen Demokratin – bzw. ihres Mannes, des Unternehmers Paul Pelosi – zu kopieren. Virginia Foxx, Republikanerin aus North Carolina, hat passend zur absehbaren EU-Sanktionspolitik gegen Rußland, in Aktien der norwegisch-amerikanischen Flüssigerdgasreederei Flex LNG investiert, die 13 moderne Tanker betreibt.

In der Spitze hatte die Aktie seit Jahresbeginn 53 Prozent gewonnen, inzwischen aber um ein Fünftel nachgegeben. Die Dividendenrendite ist dafür üppig: zwölf Prozent, weit über der Inflationsrate von 8,3 Prozent. Die auf den Bermudas registrierte Firma unter Führung des Norwegers Øystein Kalleklev hat die Flotte 2018 günstig erworben und mit Langfristverträgen an die großen Energiemultis vermietet. LNG-Tanker haben aber ein Problem: hohe Investitionen bedeuten hohe Fixkosten, denen schwankende Einnahmen gegenüberstehen. Zusätzlich gibt es einen Kapitalzyklus, denn zu Zeiten hoher Charterraten werden viele neue Schiffe bestellt. Wenn die ein paar Jahre später fertig sind, gibt es Kapazitäten im Überfluß, was zu einem Preisverfall der Charterraten führt.

Eigner sind dann froh, wenn sie ihre Schiffe überhaupt vermieten können. Wer keine Kapitalreserven hat, geht dann pleite. Im Frühsommer kostet ein LNG-Tanker seit 2018 etwa 30.000 Dollar pro Tag, im Spätherbst 150.000 bis 250.000 Dollar. Und was ist, wenn das teure Erdgas in ein paar Jahren wieder günstiger wird? Rußland könnte nach Beendigung des Ukraine-Kriegs wieder – dann besonders billig – liefern. Neue Gaspipelines aus Nordafrika oder dem Nahen Osten könnten verlegt werden. Europas eigene Gasvorräte (Norwegen, künftig Griechenland, Türkei und Zypern) könnten stärker ausgebeutet werden. Nicht nur in Norddeutschland ist Fracking zur Gasgewinnung technisch möglich. Gas könnte dann so billig werden, daß sich LNG-Transporte nach Europa nicht mehr lohnen.

Die 79jährige Virginia Foxx setzt offenbar auf das Managementtalent des britisch-norwegischen Schiffsmagnaten John Fredericksen, der 45 Prozent von Flex LNG kontrolliert. Doch Fredericksen hat eine Gemeinsamkeit mit dem Unternehmer Donald Trump: beide arbeiten mit einer hohen Schuldenlast. Kommt es zu einer Restrukturierung, geht es meist zu Lasten der Minderheitsaktionäre. Die Aktienkurse der LNG-Tankeraktien reflektieren die europäischen Schlagzeilen, die Flüssigerdgas derzeit macht. Seit dem Tiefstand im April 2020, als der Ölpreis kurz negativ war, haben sich die Kurse von Flex LNG verzehnfacht. Verfünffacht haben sich die Kurse der amerikanischen LNG-Produzenten, Cheniere und New Fortress Energy, während sich der Kurs von Enterprise Products Partners, wo LNG nur einen Teil des Geschäfts ausmacht, sich verdoppelt hat. Zuletzt haben die Kurse durchweg etwa ein Fünftel nachgegeben.

Wer erst jetzt einsteigt, hofft wohl darauf, daß die Boomphase der Branche andauert und nicht, wie oft in der Vergangenheit, in einer Pleitewelle endet. Erdölaktien bieten bessere Chancen bei weniger Risiko.