© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Offener Brief der Lebensmittelbranche an die Bundesregierung
Es ist eine Minute vor zwölf
Jörg Fischer

Obwohl der deutsche Ingenieur Carl von Linde schon 1873 das erste elektrische Kühlgerät zum Patent angemeldet hatte, war es der in Chicago geborene Frederick William Wolf jr., der 1913 den weltweit ersten elektrischen Kühlschrank für den Hausgebrauch vorstellte. In Deutschland begann die Tiefkühlära erst 1955 auf der Anuga-Messe in Köln. Und seit Aldi in den 1990er Jahren endlich auch Tiefkühlkost anbot, waren erntefrisches Gemüse und Obst, Frischfleisch und Fisch, aber auch „Sündiges“ wie Pizza, Pommes und Sahnetorte für alle erschwinglich.

Das ist angesichts der grassierenden Inflation nun vorbei. Und es kommt noch schlimmer: „Es ist eine Minute vor zwölf! Die Lebensmittelwirtschaft erlebt gerade die schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Das betrifft in ganz besonderem Maße die besonders energieintensiven Betriebe der mittelständischen Tiefkühl- und Frischewirtschaft, die infolge der Energiekrise vor einer existentiellen Bedrohung stehen“, heißt es in einem offenen Brief von sieben Branchenverbänden an Kanzler Olaf Scholz und die Minister Robert Habeck und Cem Özdemir. Und, was viele nicht wissen: Die Branche sorgt für den Ausgleich von Ernte- und Saisonspitzen und verringert so die oft beklagten Lebensmittelverluste. Die Gründe für die deutsche Misere sind allseits bekannt und vor allem (geo-)politischer Natur: „Alle, die gemeinsam in der ‘Kühl- und Tiefkühlkette’ Tag und Nacht für die temperaturgeführte Lebensmittelversorgung von Millionen von Menschen in Deutschland arbeiten, sind gerade mit dramatischen Preissteigerungen für ihre Strom- und Gasversorgung konfrontiert.“

Die Verbände verlangen staatliche Energiebeihilfen – aber wer soll das angesichts der ebenfalls verständlichen Forderungen aus anderen Bereichen finanzieren? Selbst ein Verzicht auf die Abgaben und Steuern für Energieträger dürfte nur wenig bringen, um Insolvenzen zu verhindern. Ein „Durchreichen“ der Preiserhöhungen ist nur begrenzt möglich – die meisten Verbraucher müssen ebenfalls an allen Ecken und Enden sparen. Deswegen sollte die Bundesregierung diese Forderung endlich ernst nehmen: „Treiben Sie die Sicherung der Energieversorgung mit höchster Priorität voran!“ Und daher ist der Weiterbetrieb von AKWs und die Reaktivierung von Kohlekraftwerken unverzichtbar.