© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Habeck alimentiert Finnland
Energiepolitik: Der milliardenschwere Kauf von Uniper soll die Gasversorgung sicherstellen
Marc Schmidt

Am 1. Oktober 1982 wurde Helmut Kohl durch ein konstruktives Mißtrauensvotum zum Bundeskanzler gewählt. In den folgenden 16 Jahren Schwarz-Gelb gab es zwar keine „geistig-moralische“, aber eine wirtschaftspolitische „Wende“: Historisch gewachsene Behörden wie die Post, große Versorgungsunternehmen, öffentliche Banken und Wohnungsgesellschaften sowie Staatsbeteiligungen (Lufthansa, Telekom) wurden privatisiert oder an ausländische Investoren verkauft. Mit Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008 hieß es dann plötzlich: „Kommando zurück!“ Mit der Begründung „too big to fail“ brach das Zeitalter der „Notverstaatlichung“ an. Bei der Commerzbank ist die Bundesrepublik immer noch der größte Einzelaktionär.

In einigen Fällen kann eine Staatsbeteiligung volkswirtschaftlich sinnvoll sein. So stieg der Bund 2020 bei der Lufthansa ein, um die Fluggesellschaft durch die Corona-Krise zu führen. Nach zwei Jahren erfolgte der Staatsausstieg – mit 760 Millionen Euro Gewinn für die Steuerzahler. Bei der derzeitigen Energiekrise und im Fall des früheren MDax-Konzerns Uniper muß sich der Fiskus hingegen auf Milliardenverluste einrichten. Die Bundesregierung hat vorige Woche durch eine Kapitalerhöhung um acht Milliarden Euro und den entsprechenden Aktienbezug Uniper vom staatlich dominierten finnischen Konzern Fortum übernommen. Begründung der Bundesregierung: Die Rettung von Uniper sei erforderlich, „weil die Lage sich sehr dynamisch entwickelt hat“ und „um die Versorgungssicherheit für diesen Winter sicherzustellen“.

Der größte Importeur und Exporteur fossiler Energieträger

Angesichts von Verlusten von 100 Millionen Euro pro Tag wäre eine Insolvenz unvermeidbar gewesen, und dann „hätten alle Erdgas-Lieferverträge nicht nur gestoppt, sondern nach Insolvenz­ordnung abgewickelt werden müssen“, argumentierte Wirtschaftsminister Robert Habeck. Über 200 Stadtwerke würden schließlich von Uniper mit Erdgas versorgt. Allerdings liest sich das Portfolio des Energiekonzerns wie ein Folterkabinett für grüne Ideologen: Uniper betreibt Gas- und Kohlekraftwerke in den Niederlanden, England, Belgien und Ungarn Uniper hält Anteile an den Betreibergesellschaften von drei AKWs in Schweden. Über das Tochterunternehmen Unipro werden Kohle- und Gaskraftwerke in Rußland betrieben. Und am wichtigsten: Uniper ist bislang der größte Importeur wie Exporteur fossiler Energieträger in Deutschland. Es werden elf heimische Kohle-, Gas- und Ölkraftwerke sowie etwa hundert kleinere Wasserkraftwerke betrieben.

Die künftigen Entwicklungen um Uniper ermöglichen nun auch einen direkten Kompetenzvergleich zweier deutscher Führungspersonlichkeiten: von Johannes Teyssen und Robert Habeck. Dabei zeigt schon die Uniper-Entstehung bereits heute, wie Strategie und Wirtschaftspolitik funktionieren können oder im Fall des einstigen grünen Medienlieblings scheitern können. Uniper entstand 2016 als „Bad Bank“ von „fossilen“ und „klimaschädlichen Altlasten“ des Essener Eon-Konzerns. Und der wiederum entstand vor 22 Jahren durch die Fusion der zuvor privatisierten Energieunternehmen Veba (Düsseldorf) und Viag (München). Der erfahrene Energiemanager Teyssen stand vor zehn Jahren als Eon-Chef vor der schweren Aufgabe, einen soliden Dax-Konzern mit starker kommunaler Beteiligung profitabel zu halten, insbesondere um die kommunalen Haushalte seiner Anteilseigner in NRW nicht zu gefährden.

Gleichzeitig wuchs auf Landes- wie Bundesebene der politisch-mediale Druck, Eon „ökologisch“ umzubauen. Angela Merkels „Energiewende“ hatte die Eon-Kraftwerke als Vermögensbasis des Konzerns durch den forcierten Atomausstieg sowie fortgesetzte Änderungen von Laufzeiten und Umweltauflagen massiv entwertet. Mit Datteln 4 im Ruhrgebiet baute Eon zudem ein für die Deutsche Bahn AG (Werbemotto: „Mit Ökostrom ans Reiseziel!“) bis heute unverzichtbares Steinkohlekraftwerk, das medial-politisch immer wieder angegriffen wurde. Teyssen löste diese Aufgabe durch eine Konzernaufspaltung nach US-Vorbild: Uniper übernahm Großkraftwerke, diverse Beteiligungen und Tochterunternehmen sowie den Rohstoffhandel.

Also all das, was bei grünen Aktionären und naiven Erben von Großvermögen unbeliebt ist. Die Maßnahme beinhaltete die Zuteilung von Uniper-Aktien an Eon-Aktionäre in einem 10-zu-1-Split. Eon als Kernunternehmen und Marke fungierte nach der Trennung als „grüner“ Energieversorger und Dienstleister. Uniper, eigentlich eine aus der Zeit gefallene Restesammlung mit Risiko-Portfolio, erwirtschaftete am Energiemarkt nach der Trennung aber über Jahre hinweg ordentliche Gewinne für den finnischen Staatskonzern Fortum, der durch Aktienkäufe mehr als 75 Prozent der Uniper-Anteile übernahm. Uniper versorgte 40 Prozent des deutschen Gasmarkts – vor allem mit billigen Pipelinelieferungen aus Rußland.

Teure Verstaatlichungen und politische Zwangsverwaltung

Während Teyssens Vorgehen abseits wohlfeiler rückwirkender Kritik der Grünen und einzelner Medien als Lehrstück des strategischen Managements und der Unternehmensführung gilt, scheitert Habeck an den strategischen Herausforderungen seiner Aufgaben. Mit der Übernahme von Uniper reagierte er auf eine Situation des Unternehmens auf Basis von Rahmenbedingungen, die auch seine Wirtschaftspolitik zu verantworten hat, insbesondere durch die CO2-Bepreisung für „fossile“ Energieträger. Die grüne Inflation und Depression in der Wirtschaft wie bei den Konsumenten werden eine Insolvenzwelle ungeahnten Ausmaßes auslösen.

Angesichts der bisherigen Leistungen des grünen Ministers blickt die Energiebranche schon auf die wohl anstehende Verstaatlichung des bereits unter Zwangsverwaltung stehenden zweitgrößten Gashändlers in Deutschland, auf die Berliner Sefe (Securing Energy for Europe), vormals Gazprom Germania. Niemand erwartet inzwischen, daß Rußland – etwa nach einem Kriegs- und Sanktionsende – seine bisherigen Energielieferungen zu einem für Deutschland vernünftigen Preis wieder aufnehmen wird. Genau dies wäre aber eine der wenigen Möglichkeiten, die horrenden Verluste bei Uniper & Co. einzudämmen und das deutsche Energiepreisniveau – ohne umfassende staatliche Umverteilung – wieder etwas zu senken.

 www.bundesnetzagentur.de

 www.uniper.energy