© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Mehr Millionäre
Reichtumsbericht: Die Inflation läßt die Vermögen ansteigen / Euro-Sparer verlieren durch Währungsabwertung zusätzlich
Paul Leonhard

Inflation schafft Millionäre – das erlebten die Deutschen vor 100 Jahren. Im Herbst 1922 hatte die Mark nur noch ein Tausendstel ihres Wertes von 1914. Mit dem Krieg begann dann die Geldentwertung. 1923 brachen mit dem Ruhrkampf alle finanziellen Dämme, selbst Hilfsarbeiter wurden Papiergeld-Milliardäre. Erst eine Währungsreform im November 1923 beendete die Hyperinflation – doch die Kriegsanleihen der Deutschen waren entwertet, das Geldvermögen von Generationen vernichtet. Nur wer 1916 nicht auf die allgegenwärtige Kriegspropaganda („Gold gab ich zur Wehr, Eisen nahm ich zur Ehr!“) hereingefallen war, konnte sein Vermögen teilweise retten.

Aktuell steigt erneut die Zahl der Millionäre. Weltweit gibt es – gerechnet in Dollar – mehr als 62 Millionen, neun Prozent mehr als im Vorjahr. Das geht aus dem „Global Wealth Report 2022“ der Zürcher Großbank Crédit Suisse hervor. Die Zahl der Millionäre stieg – trotz Corona-Krise – um 5,2 Millionen, das globale Vermögen stieg um 41,5 Billionen Dollar auf 463,6 Billionen Dollar (+9,8 Prozent). Die Klasse der Superreichen (Finanzvermögen über 100 Millionen Euro) nahm neue 300 Mitglieder auf. Die meisten davon leben in den USA (25.800), gefolgt von China (8.500) und Deutschland (3.100).

Zu letzteren gehören mit jeweils 20,2 Milliarden Dollar auch die Gründer der Pharmafirma Hexal, Thomas und Andreas Strüngmann. Sie verkauften 2005 den Generikahersteller an die Baseler Sandoz AG und investierten ihr Geld woanders, 2008 etwa in die Mainzer Firma Biontech – die ab 2020 mit ihrem Corona-Impfstoff zu einem Milliardenunternehmen aufstieg. Und trotz des Zusammenbruchs der Lieferketten und Umsatzrückgängen in vielen Branchen war das Jahr 2021 unter dem Strich „ein Rekordjahr für den Wohlstand der Haushalte“, sagt Axel Lehmann, Verwaltungsratschef der Crédit Suisse. Ohne die Dollar-Aufwertung hätte das Wachstum der globalen Gesamtvermögen sogar bei 12,7 Prozent gelegen. Mehr als die Hälfte des Vermögenszuwachses wurde in den USA registriert, während in Deutschland die Zahl der Millionäre abnahm: 58.000 Personen zählen wegen der Euro-Abwertung nun nicht mehr zu den 2,7 Millionen deutschen Dollar-Millionären. In der Schweiz, wo der Franken gilt, ist jeder achte ein Millionär. Hier beträgt das Durchschnittsvermögen eines Erwachsenen etwa 700.000 Dollar – in den USA sind es nur 580.000, in Hongkong und Australien je 550.000 Dollar. In Deutschland sind es umgerechnet nur 250.000 Dollar. Damit ist die Schweiz eindeutig das reichste Land der Welt.

Der „World Wealth Report“ des Pariser Beratungsunternehmens Capgemini, der Aktien, festverzinsliche Wertpapiere, privates Beteiligungskapital, Bargeld sowie nicht selbst genutzte Immobilien berücksichtigt, nicht aber Sammlungen oder Gebrauchsgüter, zählt in Deutschland nur 1,63 Millionen Millionäre, weltweit sind es demnach 22,4 Millionen. Dennoch führen auch hier die USA: Capgemini zählt in God’s Own Country 7,46 Millionen Millionäre, in Japan sind es 3,65 Millionen. Die Bundesbank schätzt das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland auf 7,61 Billionen Euro. Berücksichtigt sind Bargeld, Bankeinlagen,Aktien und Fonds sowie Ansprüche gegenüber Versicherungen, nicht jedoch Immobilien.

Wieviel sind eine Million Euro in vier Jahren noch tatsächlich wert?

Und laut einer Studie der Boston Consulting Group (BCG) besitzen 3.100 Personen mehr als ein Fünftel des gesamten privaten Finanzvermögen in Deutschland. Angeführt wird die Liste der reichsten Bundesbürger weiter von den Aldi-Erben Beate Heister (70) und Karl Albrecht junior (74) mit 44,1 Milliarden Dollar, gefolgt von dem 85jährigen Klaus-Michael Kühne (Logistikkonzern Kühne+Nagel/39,9 Milliarden), dem 83jährigen Dieter Schwarz (Lidl, Kaufland/31 Milliarden) sowie mit 29 bzw. 23,2 Milliarden Dollar die BMW-Erben Susanne Klatten und Stefan Quandt.

Global gesehen braucht man hingegen ein Vielfaches der deutschen Großvermögen, um im „Billionaires Index“ des Wirtschaftsmagazins Forbes ganz oben zu stehen: Zu Wochenbeginn stand auf Platz 1 der Tesla-Gründer Elon Musk mit 245 Milliarden Dollar. Mit großem Abstand auf den 51jährigen folgen mit 142 Milliarden Dollar der Inder Gautam Adani (Adani-Group/Logistik, Rohstoffe), Jeff Bezos (Amazon/137 Milliarden), der Franzose Bernard Arnault (LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton/127 Milliarden) und Microsoft-Gründer und Philantrop Bill Gates (107 Milliarden).

Ein Grund für das Vermögenswachstum ist laut dem Crédit-Suisse-Bericht auch die Pandemiebekämpfung durch die Regierungen. Bereits 2020 sei es gelungen, Einkommensausfälle durch Hilfszahlungen abzufedern, erläutert der britische Ökonom Anthony Shorrocks. Die Notenbanken hätten parallel die Konjunktur durch niedrige Zinsen gestützt. Und dieses Wachstum werde global gesehen anhalten: „Selbst vor dem Hintergrund der geopolitischen Turbulenzen werden die Vermögen weltweit weiter anwachsen“, ist sich Anna Zakrzewski von der BCG gewiß. Und Nannette Hechler-Fayd’herbe von der Crédit Suisse sieht das ähnlich: „Wir gehen in unserer Fünfjahresprognose von einem anhaltenden Vermögensanstieg aus.“ Selbst wenn der Ukraine-Krieg und die Sanktionen andauern, ist global mit einem Vermögensplus von fünf Prozent zu rechnen. Bis 2026 erwartet Crédit Suisse, daß das Durchschnittsvermögen pro Erwachsenem weltweit auf 100.000 Dollar steigt und es dann 87 Millionen Dollar-Millionäre geben wird.

Offen ist dabei die Frage, was eine Million Euro in vier Jahren noch wert sind. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel rechnet demnächst mit Inflationsraten von über zehn Prozent in Deutschland. 2023 werde die Jahresteuerung mit voraussichtlich bei über sechs Prozent liegen, prognostizierte das SPD-Mitglied im Deutschlandfunk.

 credit-suisse.com

 www.bloomberg.com