© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Filmkritik Old Henry
Der Mann, der Billy the Kid war
Werner Olles

Auf einer einsamen Farm in Oklahoma lebt im Jahr 1905 der Witwer Henry McCarty (Tim Blake Nelson), der vor zehn Jahren seine Frau verloren hat, gemeinsam mit seinem jugendlichen Sohn Wyatt (Gavin Lewis). Ihr Alltag ist bestimmt von harter Arbeit auf den Feldern, doch eines Tages taucht ein Pferd mit einem blutigen Sattel, aber ohne Reiter, bei ihnen auf. Henry macht sich sofort auf die Suche und findet schließlich einen schwerverletzten Mann mit einer großen Menge Geld in seiner Satteltasche. Er nimmt den Bewußtlosen mit ins Haus und versteckt das Geld und die Waffe im Schrank.

Als der Fremde wieder zu sich kommt, erzählt er, er heiße Curry (Scott Haze) und sei ein Sheriff, der von Banditen überfallen wurde. Als drei Männer mit Sheriffsternen auftauchen und sich nach dem Verwundeten erkundigen, leugnet Henry ihn gesehen zu haben. Es kommt zu einer Auseinandersetzung, bei der Curry angeschossen wird. Henry legt nun nach langer Zeit wieder seinen Revolvergurt um, um seinen Sohn und die Farm gegen die drei Banditen, die das Haus belagern, zu verteidigen. Curry sagt ihm auf den Kopf zu, daß Henry in Wahrheit der berühmte Revolverheld Billy the Kid ist …

Potsy Poncirolis Neo-Western „Old Henry“ (USA 2021) entstand in den Grasslands von Waterford in Tennessee. Auf den Internationalen Filmfestspielen in Venedig 2021 ausgezeichnet und in die Top-Ten-Independentfilme des National Board of Review Awards aufgenommen, erinnert „Old Henry“ mit seiner lakonischen Erzählweise an Genre-Klassiker wie Clint Eastwoods „Erbarmungslos“ und „No Country for Old Men“ der Coen-Brüder. Ponciroli, der auch das Drehbuch schrieb, gelang ein mit bescheidenen Mitteln produzierter Western, der es als reiner Männerfilm versteht, den Zuschauer mitzureißen und packende Unterhaltung zu bieten.

Neben den großartigen Darstellern, allen voran Tim Blake Nelson als Henry/Billy the Kid und Stephen Dorff als dessen gefährlicher Gegenspieler Sam Ketchum, überzeugen auch die beeindruckende Kameraarbeit von John Matysiak und die Musik des aus Nashville stammenden Multiinstrumentalisten Jordan Lehning. „Old Henry“, der in den USA nur in ausgewählten Kinos zu sehen war und es in Deutschland nicht ins Kino schaffte, sondern nur als DVD und auf Blu-ray veröffentlicht wurde, zählt zu den großen Neo-Western.

DVD/Blu-ray: Old Henry. KochMedia 2022, Laufzeit etwa 95 Minuten