© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Wer schießt den Vogel ab?
Elon Musk: Beim Übernahmestreit um Twitter rückt der erste Gerichtstermin näher
Eric Steinberg

Anfang April startet Tesla-Chef Elon Musk den Versuch einer Übernahme des Social-Media-Riesen Twitter. Von medialem Rummel begleitet, steht nicht einmal zwei Wochen danach die Einigung mit dem Unternehmen fest. 44 Milliarden Dollar stehen als Kaufsumme im Raum. Ein Betrag, den Musk vier Monate später nicht mehr zahlen will. Der Deal ist geplatzt. Doch die Mehrheit der Twitter-Aktionäre votierte vergangene Woche für einen Verkauf. Denn ob der Multimilliadär sich tatsächlich von seinen Käuferpflichten befreien kann, steht allerdings noch nicht fest. Ein Gericht im US-amerikanischen Delaware soll am 17. Oktober über das Schicksal der beiden Konfliktparteien entscheiden. Twitter verklagte Musk und will ihn damit zu einer Übernahme zwingen. Dieser reichte daraufhin die Gegenklage ein. 

Der Prozeß unter Leitung der zuständigen Richterin Kathaleen McCormick könnte zum medialen Großereignis heranwachsen. Schon jetzt arbeiten beide Seiten akribisch an der Vorbereitung des Prozesses. Wer auch nur bruchstückhaft an der geplanten Übernahme beteiligt war, soll nun zur Aussage bewegt werden. Auf der Suche nach Unternehmensinformationen führt der Weg von Musks Anwälten zu den ehemaligen Mitarbeitern des Big-Tech-Unternehmens. 

Hier erhofft sich der Gegenkläger neue Informationen über die internen Analyseprozesse von Twitter. Denn: Der Grund, warum Musk den Deal überhaupt scheitern ließ, seien „falsche und irreführende“ Angaben des Unternehmens zur Anzahl der Spambots. Während der Tesla-Chef über ein Drittel falscher Profile auf der Plattform vermutet, spricht der Kurznachrichtendienst selbst von unter fünf Prozent.

Neue Vorwürfe gegen das Tech-Unternehmen

Bisher wurden insgesamt Daten von über 20 Mitarbeitern angefragt, darunter der ehemalige General Manager of Consumer Kayvon Beykpour. Ob diese ausreichen, Musks Annahme zu bestätigen, ist zweifelhaft. Die Vertreter des Digital- und Automobil-Unternehmers begründeten ihre Vorwürfe anhand der Daten von Botometer, einem Tool zur Erkennung von Social Bots. Der Gründer der Anwendung, Kai-Cheng Yang, äußerte sich bereits zu den gewonnenen Erkenntnissen über die tatsächliche Anzahl der gefälschten Profile und machte den Musk-Fans wenig Hoffnung: „Sie bedeuten gar nichts.“ 

Allerdings erhebt Musk längst neue Vorwürfe und bezieht sich auf den ehemaligen Sicherheitschef des Kurzmitteilungsdienstes, Peiter Zatko, der Twitter Sicherheitslücken wie beispielsweise mangelnden Nutzerdatenschutz vorwirft. Das Kaufangebot sei so als ungültig einzustufen, schrieb Musks Anwaltsteam in einem per Börsenmitteilung veröffentlichen Brief an das Tech-Unternehmen. Zudem fordern die Juristen eine Verschiebung des Gerichttermins auf den 10. November. Vor dem US-Senat untermauerte der im Januar gekündigte Zatko seine Anschuldigungen erst kürzlich: die Sicherheit bei Twitter habe bei seinem Dienstantritt 2020 „mehr als ein Jahrzehnt hinter den Branchenstandards“ hinterhergehinkt.

Ob Musk selbst fest an einen Sieg vor Gericht glaubt, bleibt der Öffentlichkeit verschlossen. Daß er eine Niederlage aber zumindest einkalkuliert, lassen seine jüngsten Aktienverkäufe erahnen. Anfang August verkaufte er 7,92 Millionen Tesla-Aktien im Wert von 6,9 Milliarden Dollar. Doch das ist längst nicht alles: Berechnet man die Verkäufe der letzten zehn Monate, beläuft sich die Summe auf stolze 32 Milliarden Dollar. Das Geld könnte zur Finanzierung der Übernahme genutzt werden, falls Twitter vor Gericht siegt. 

Auch Musk selbst äußerte sich auf der Plattform zu den Verkäufen: „Für den (hoffentlich unwahrscheinlichen) Fall, daß Twitter den Abschluß dieses Deals erzwingt und einige Kapitalpartner nicht mitgehen, ist es wichtig, einen Notverkauf von Tesla-Aktien zu vermeiden.“ Egal, wie das Gericht entscheidet, die Glaubwürdigkeit des Unternehmers ist bereits jetzt beschädigt worden. Während er selbst kurz nach Verkündung des Deals im April witzelte, daß er nun als nächstes Coca-Cola kaufte, um das Kokain wieder zur Rezeptur hinzuzufügen, halten einige Anleger Musks Verhalten im Fall Twitter für ebenso scherzhaft und unkalkulierbar. Investitionen in Musks zukünftige Projekte werden damit unsicherer als zuvor. 

Dabei hat der reichste Mensch der Welt möglichweise schon eine neue Vision. Er selbst teilte vor einiger Zeit mit, eventuell ein eigenes soziales Medium zu gründen, das sich an Twitter orientieren würde. Im Fokus steht dabei immer wieder die Domain X.com. Musk gründete 1999 eine Online-Bank mit demselben Namen, aus der später einmal PayPal entstehen sollte. Jahre später kaufte er die Domain zurück, hinterließ auf der Seite bisher allerdings nur ein einzelnes X. 

Gerüchte, daß die Seite bald mit neuen Inhalten gefüllt werden könnte, heizte er selbst weiter an. Auf die Frage von Twitter-Nutzern, ob er sein eigenes Netzwerk gründe, wenn die Übernahme scheitert, antwortete er geheimnisvoll mit: „X.com“.