© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Gibt es ein „Ewiges Europa“?
David Engels versammelt europäische Intellektuelle zu einer programmatischen Neuordnung des Abendlandes
Till Kinzel

Das Abendland ist, wie wir von Oswald Spengler wissen, längst untergegangen. Dennoch stellt sich die Frage, wie das verbliebene Europa sich geistig und politisch für die Zukunft aufstellen wird. Ohne Impulse, die sich den verquasten Reden der EU-Eliten von einer mehr als blassen „Wertegemeinschaft“ verweigern, bleibt eine Verständigung über eine europäische Identität aber sinnlos. Denn soviel ist wahr: Europa befindet sich in einer „selbstmörderischen Identitätskrise“, wie der Althistoriker und rührige Spenglerianer David Engels (Brüssel/Posen) diagnostiziert. 

Gemeinsam mit Intellektuellen aus mehreren Ländern unternimmt er nun in einem gehaltvollen Sammelband den offensiven Versuch, die Hauptgesichtspunkte einer europäischen Identität herauszuarbeiten. Die Autoren beziehen sich auf eine in der größeren Öffentlichkeit bisher wenig bekannte „Präambel zur Verfassung einer Konföderation europäischer Nationen“, die Engels im Auftrag einer polnischen Künstlervereinigung formulierte. Es geht darum, in entschiedener Weise das Positive an der europäischen Identität sichtbar und fruchtbar zu machen. Das hat sehr wohl eine konservative Dimension, weil mit der Tradition auch die Leistung der Toten für die Erschaffung dieser Kultur anerkannt werden sollte, wie die französische Philosophin Chantal Delsol pointiert darlegt. Auch der Respekt vor der Schöpfung wäre zu fördern, soll nicht ökologische Politik wie derzeit Fanatikern überlassen werden (Michael Hageböck).

Alle Beiträge malen jeweils eines der Stichworte dieser Präambel näher aus, so daß ein Panorama europäischer Selbstvergewisserung und Selbstbehauptung entsteht. Was sind die Kerne, um die herum Europa politisch und kulturell im Sinne einer neuen Verfassung zu formen wäre? Der Althistoriker Egon Flaig erinnert an die zentrale Errungenschaft der Mehrheitsentscheidung in einer Demokratie, die stets über eine gewisse Homogenität verfügen müsse. Aus den antiken Wurzeln ergibt sich in der Moderne mit dem Schritt von der Volksversammlung zur Repräsentation die „indirekte“ Demokratie, die nur als solche auch in großen Flächenstaaten funktionieren kann. Doch könnten häufigere Volksentscheide die Orientierung am Gemeinwohl stärken. Der Siegener Jurist Gerd Morgenthaler stellt die Errungenschaft der Rechtsstaatlichkeit heraus, die wie die Demokratie nicht selbstverständlich ist. Freiheitsgrundrechte ohne Bindung an überstaatliche Normen, die lediglich Ausdruck eines extremen Individualismus wären, seien nicht tragfähig.

Zentral für den von Engels und seinen Mitstreitern ins Spiel gebrachten „Hesperialismus“ – so der etwas sperrige Begriff für die Idee des zukunfts-orientierten Abendlands – oder „abendländischen Patriotismus“ ist freilich seine identitätspolitische These: Die Völker Europas bräuchten eine gemeinsame Identität und gegenseitige Verantwortung. Das Buch zielt auf eine andere, eine im kulturellen Sinne „europäischere“ EU.

Der Architekt Léon Krier liefert Betrachtungen zur Schönheit, die im Raum des Politischen stark vernachlässigt werde. Aber ohne Schönheit fehlt dem guten Leben in staatlicher Gemeinschaft etwas Entscheidendes. Mit dem Schönen ist ein Grundelement des abendländischen Menschenbildes ins Spiel gebracht, für das es immer noch viel zu wenig Gespür gibt. Das Gemeinwohl sollte auch die Schönheit der Lebenswelt umfassen; ein ästhetisch ansprechender Städtebau sei auch humaner.

Ein heidnisches Europa setzt alte Racherituale wieder ins Recht

Wenn Europa nicht ohne das Schöne gedacht und gelebt werden kann, so auch nicht ohne Trans-zendenz. Doch gerade hier liegt viel im argen, wie Harald Seubert deutlich macht, der nicht nur einen „desaströsen Verlust an Bildung“ beklagt: „Ein babylonischer Turm ohne Fundamente und Formkraft wird errichtet“, heißt es über die realexistierende EU. Diese sei grenzenvergessen, zunächst rein politisch verstanden. Aber auch deshalb, weil sie nichts von Transzendenz, von Gott, wisse und auch nichts wissen wolle. Selbst ein minimaler Gottesbezug habe in der EU keinen Platz, was aber tragisch sei. Denn mit der Transzendenz verbunden sei auch die „Verzeihungsfähigkeit“. Ein heidnisches Europa, so Seubert, könnte dagegen alte Racherituale wieder ins Recht setzen – mit unabsehbaren Konsequenzen für unser Zusammenleben.

David Engels (Hrsg.): Europa Æterna. Unsere Wurzeln, unsere Zukunft. Edition Sonderwege Manuscriptum, Neuruppin 2022, gebunden, 434 Seiten, 24 Euro