© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/22 / 30. September 2022

Große Zyklen im Zeitraffer
Der Hedgefonds-Manager und Buchautor Ray Dalio analysiert Meßgrößen des Wandels von Weltordnungen
Felix Dirsch

Seit Jahrhunderten führt jede größere Grundlagenkrise in Europa (und darüber hinaus) zu einer Diskussion über die künftige Gestaltung einer neuen Ordnung. Nach dem Dreißigjährigen Krieg ist die Situation in dieser Hinsicht vergleichbar mit der Lage nach dem Ende der Napoleonischen Kriege. Der Völkerbund im Anschluß an den Ersten Weltkrieg und die 1945 ins Leben gerufenen Vereinten Nationen versuchten, den Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben der Völker zu institutionalisieren. 

Solche Umbrüche gingen öfters einher mit dem Aufstieg und Fall führender Nationen. Für Geschichtsdenker (von Oswald Spengler bis Paul Kennedy) war es stets reizvoll, eine Logik derartiger Prozesse herauszuarbeiten. Sie soll das simple Schema von Aufstieg, Höhepunkt und Abstieg der Nationen präzisieren, dem schließlich ein neuer Verlauf folgt. Die Gründe für diese Entwicklungsstufen lassen sich genau bestimmen. Nicht zuletzt anhand sehenswerter Grafiken verdeutlicht der US-Hedgefondsmanager Ray Dalio, inwiefern Führungsstärke der Regierenden, Erfindungsreichtum, gute Bildungschancen, Wettbewerbsfähigkeit und andere für den Aufstieg von Staaten verantwortlich sind. Auf dem Höhepunkt zyklischer Prozesse setzen auf einmal Produktivitätsrückgang und sinkende Wettbewerbsfähigkeit ein. In der anschließenden Etappe des Niedergangs kommt es zu wachsender Verschuldung, inneren Konflikten und zum Verlust einer stabilen Währung, um nur einige Beispiele anzuführen.

Eine Verschiebung des globalen Gravitationszentrums nach Asien

Dalio versucht sein Unterfangen auf einer verläßlichen Datenbasis zu fundieren. Sowohl qualitative wie quantitative Determinanten werden akribisch untersucht. 18 sind es an der Zahl, mit deren Hilfe der Multimilliardär die zentralen Größen von Macht und Wohlstand darlegt. Dabei fallen vor allem drei Hauptbereiche ins Gewicht: der evolutive Faktor, der basale Veränderungen wie Produktionssteigerungen oder -niedergänge, aber auch demographische Wandlungen benennt; Wirtschaftszyklen, die etwa eine erhöhte Verschuldung indizieren; Hinweise auf größere Entwicklungen, die den Stand innerhalb eines langfristigen Verlaufs anzeigen. Die Kombination solcher Faktoren ergibt ein eindrucksvolles Bild von politischer, militärischer und wirtschaftlicher Stärke der Nationen auf ihrem jeweiligen historischen Entwicklungsstand.

Ausführlich untersucht Dalio, wie sich solche Parameter in konkreten historischen Prozessen ausgewirkt haben. Nach einer Funktionsanleitung für die Welt (Teil I) folgt die Beschreibung der entscheidenden Mechanismen. Abschließend versucht der Autor, einen Blick in die Glaskugel zu werfen.

Mit der Analyse des spanischen und portugiesischen Imperiums in der frühen Neuzeit hält sich Dalio nicht auf. Sorgfältig erörtert er hingegen die historischen Phasenverläufe des niederländischen, britischen und US-amerikanischen Imperiums. Auf diese Weise spannt er gekonnt den Bogen von der frühen Neuzeit bis heute. Die Verschiebung des globalen Gravitationszentrums nach Asien, die wir vor unseren Augen erleben, geht nicht ohne heftige Auseinandersetzung ab. Die Stärken und Schwächen Chinas werden ausführlich untersucht.

Der Autor macht ausgiebig Gebrauch von computergenerierter Datenauswertung. Seine sorgfältige Untersuchung entscheidender Meßgrößen für die Relevanz von Staaten und Regionen vor allem auf den Sektoren Finanzen, Wirtschaft, Militär, technische Innovationen und Wohlstand, ja selbst der geographischen Lage und weiterer Parameter, besticht. Die materialreiche Studie ist nicht leicht zu lesen. Sie setzt aber Maßstäbe für viele andere Abhandlungen zum gleichen Thema, die die nötige breite Basis der Empirie aber gern vermissen lassen.

Ray Dalio: Weltordnung im Wandel. Vom Aufstieg und Fall von Nationen. FinanzBuch Verlag, München 2022, gebunden, 668 Seiten, 29,99 Euro