© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Wiederholung der Wahl in Berlin
Parlament ohne Legitimation
Marcel Luthe

Wer die Auszüge aus den Protokollen der Wahllokale gesehen hat, konnte nicht ernsthaft annehmen, daß es sich bei der Farce vom 26. September 2021 um allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlen im Sinne des Grundgesetzes gehandelt haben kann. Und so kam auch ein Jahr, nach dem ich diese Protokolle angefordert hatte, der Berliner Verfassungsgerichtshof zu einer ähnlichen Einschätzung. Spät, aber immerhin. Wenn aber die Wahlen in der Hauptstadt keine demokratischen waren, kann auch das Abgeordnetenhaus keine Legitimation durch den Souverän – das Volk – für sich beanspruchen. Einem jeden Demokraten muß diese Vorstellung ein Schaudern erzeugen, denn durch diese Legitimationskette wird die Exekutive durch uns alle kontrolliert und kann sich nicht selbständig machen. Und nun doch? 

Wie so oft hat unser Grundgesetz hier eine hervorragende Lösung gefunden: nach Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG endet die Amtszeit des Parlaments erst mit dem Zusammentritt eines neuen Parlamentes – das natürlich demokratisch legitimiert sein muß. Wir stehen daher vor einer klassisch-binären Entscheidung: gab es in Berlin Wahlen im Sinne des Grundgesetzes? Dann sind die Anfechtungen abzuweisen. Andernfalls hat sich nie ein neues Abgeordnetenhaus konstituiert und das 2016 gewählte 18. Abgeordnetenhaus blieb und bleibt bis zu einer demokratischen Wahl im Amt. In jedem anderen Fall würde ein Gericht sich dazu aufschwingen, sich ein Parlament auszusuchen und so den Souverän zu ersetzen.






Marcel Luthe (parteilos) ist Mitglied des 18. Abgeordnetenhauses von Berlin.