© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Ein Anschlag mit Folgen
Wer sprengte die Nord-Stream-Pipelines? Deutschland schaut in die Röhre
Bruno Bandulet

Um den Nebel zu lichten, der über dem wirtschaftlichen und militärischen Kriegsgeschehen in Europa liegt, lohnt es sich, zwei Autoritäten zu zitieren: den israelischen Militärexperten Martin van Creveld und den Meister der schweizerischen Finanzanalytiker Felix Zulauf. Letzterer nennt die Verwicklung der Ukraine in einen amerikanischen Stellvertreterkrieg gegen Rußland ein Vorgeplänkel des Krieges mit China, den Washington für die Jahre 2026/27 einkalkuliere. „Noch haben die Europäer nicht gemerkt“, fährt er fort, „daß sie Spielball der Amerikaner sind, was sich aber in einem kalten und dunklen Winter ändern könnte.“ 

Martin van Creveld wiederum wies in dieser Zeitung darauf hin, daß praktisch alles, was wir über den Konflikt in der Ukraine erfahren, durch eine Reihe von Linsen gehen muß: die der eigenen Geheimdienste, die des ukrainischen Propagandaapparats und die der westlichen Nachrichtenagenturen. 

Das gilt auch für die Zerstörung der Erdgasleitungen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 am 26. September. Eine unabhängige Untersuchung wird es nicht geben, weil die Nato und damit die USA das fragliche Gebiet kontrollieren. Jedenfalls wurde mit dem schockierenden Anschlag eine neue Eskalationsstufe des Konflikts erreicht. 

Geschädigt ist vor allem Deutschland, weil damit die Option entfällt, doch wieder auf das reichlich verfügbare, preiswerte russische Erdgas zurückzugreifen – sei es im kommenden Winter bei einem Gasnotstand, sei es irgendwann nach Ende des Krieges oder nach einem Machtwechsel im Kreml. Zulauf hat nicht unrecht, wenn er sagt, daß die USA immer verhindern wollten, daß die aus geographischen Gründen natürliche Kooperation zwischen Westeuropa und Rußland zustande kommt.

Die Lage der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt könnte prekärer nicht sein. Die Rechnung für den Energiekrieg, die auf Deutschland zukommt, wird sich auf einen hohen dreistelligen Milliardenbetrag belaufen. Zu den 200 Milliarden Euro, mit denen die Bundesregierung Strom und Gas verbilligen will, müssen die Kosten der bevorstehenden Insolvenzen und der Abwanderung energieintensiver Betriebe ins Ausland addiert werden. Bereits für das Auffüllen der Erdgasspeicher in diesem Sommer mußte zehnmal soviel bezahlt werden wie früher für das russische Gas. Laut einer Studie der renommierten norwegischen Firma Rystad Energy könnte die Gaskrise bis 2025 andauern, selbst wenn das niederländische Feld Groningen wieder mit voller Kapazität fördert. Die USA können Rußland erst langfristig ersetzen. 

Wer aber könnte Motiv und Gelegenheit für den Terroranschlag gehabt haben? Dazu muß man wissen, daß die aus dem Spezialstahl L485/X70 hergestellten Rohre von Nord Stream 2 mit einem Betonmantel geschützt sind und eingegraben oder zugeschüttet wurden. Die Täter mußten die Rohre freilegen oder aber sehr große Sprengladungen verwenden, am besten hochbrisante aus militärischen Beständen. Und sie mußten entweder professionelle Taucher oder Unterwasserdrohnen einsetzen, die von U-Booten oder Überwasserschiffen abgesetzt werden. Damit scheiden private Organisationen wie Greenpeace aus.

Dazu kommt, daß eine so anspruchsvolle Operation nicht innerhalb kurzer Zeit und schwerlich unbemerkt durchgeführt werden konnte. Die Explosionen in einer Tiefe von 70 bis 90 Metern lagen in der Nähe der Übungsgelände der dänischen Marine und in einem Seegebiet, das ständig überwacht wird, auch mit Hilfe von Sensoren an der Küste und an Bord von Kriegsschiffen. In der Nacht vor dem Anschlag war ein amerikanischer Seeaufklärer des Typs P-8A Poseidon in der Region unterwegs. Außerdem wurde zur Zeit der ersten Explosion ein unidentifiziertes Flugzeug im Nordosten Polens von einer amerikanischen Maschine des Typs KC-135 betankt. Um 3.05 Uhr verschwand es vor Bornholm, es hatte offenbar den Transponder ausgeschaltet. Belegt ist auch, daß die Task Force 68 der 6. US-Flotte im Juni vor Bornholm die Übung BALTOPS 22 durchführte, bei der unbemannte Unterwasserfahrzeuge getestet wurden. 

Irgendwelche Beweise für eine amerikanische oder gar polnische oder ukrainische Beteiligung (auch darüber wird schon spekuliert) liegen nicht vor. Es wird sie wohl nie geben. Fest steht nur, daß die Amerikaner die Fähigkeiten zu einer solchen Operation hatten und haben. Auch die russische Marine beherrscht die „Seabed War-fare“, die Kriegsführung auf dem Meeresgrund. Wie aber hätte sie in quasi feindlichem Gebiet ungestört operieren können? Warum blieb die Nord Stream kreuzende neue Baltic Pipe, die den Erzfeind Polen mit norwegischem Gas versorgt, unbeschädigt? Warum sollte Moskau russisches Eigentum zerstören?

Bereits am 7. Februar hatte der US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus in Anwesenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt: „Wenn Rußland einmarschiert, wird es kein Nord Stream 2 mehr geben.“ Eine Reporterin fragte: „Wie wollen Sie das genau tun, wo das Projekt doch von Deutschland kontrolliert wird?“ Bidens Antwort: „Ich verspreche Ihnen, wir werden fähig sein, es zu tun.“ Scholz hörte zu – und schwieg. 

Wenig verwunderlich, daß nun auch US-Außenminister Blinken eine „ungeheure Chance“ für Europa sieht, die Abhängigkeit von Rußland endgültig zu lösen. Einen Tag nach dem Anschlag, am 27. September, meldete sich auch Radek Sikorski, der frühere polnische Verteidigungs- und Außenminister, auf Twitter mit der Botschaft: „Thank you, USA.“ Da waren die Nord-

Stream-Pipelines, verhaßtes Symbol deutsch-russischer Energiepartnerschaft, schon zerstört.

Wenn das Seewasser die Rohre erst einmal korrodiert hat, werden sie zu einer 20 Milliarden teuren Investitionsruine, so wie es sich die Grünen immer gewünscht haben. Die Deutsche Marine hätte dieses Stück Infrastruktur nicht schützen können. Sie ist in Nord- und Ostsee so gut wie wehrlos. Mit nur zwei einsatzfähigen U-Booten ist für sie „Seabed Warfare“ ein Fremdwort. Deutschland, gestraft mit einer auf „feministische“ Außenpolitik fixierten Dilettantin, einer ideologisch getriebenen Energiepolitik und ohne den Willen zur Souveränität, droht zerrieben zu werden im Showdown der Großmächte.