© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

„Sexualisierung unserer Sprache“
Ein Professor in Halle macht von der grund-gesetzlichen „Freiheit der Lehre“ Gebrauch: Er verlangt, daß seine Studenten korrektes statt „geschlechtergerechtes“ Deutsch schreiben. Die Uni stellt ihn daraufhin kalt
Moritz Schwarz

Herr Professor Plöhn, haben Sie geahnt, was da auf Sie zukommt?

Jürgen Plöhn: Zunächst nicht, denn als ich 2021 ankündigte, daß in meinen Lehrveranstaltungen korrektes Deutsch zu verwenden ist – und wer das nicht möchte, bitte ein Seminar bei Kollegen wählt –, glaubte ich noch, der Grundsatz der Freiheit der Lehre habe Gültigkeit.

Und das ist nicht der Fall?

Plöhn: Offenbar nicht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Denn nach einer Intervention anonymer Studenten – die allerdings wohl nicht zu denen meines Seminars gehören – erhielt ich überraschend ein Schreiben des Dekanats. Demnach lag bei der „Stabsstelle Vielfalt und Chancengleichheit“ eine Beschwerde gegen mich vor. Künftig, hieß es, hätte ich daher den Studenten beim Gebrauch der Gender-Sprache freie Wahl zu lassen und diese „in keiner Form nachteilig zu bewerten“. Begründung: „Die Universität hat sich in ihrem Leitbild Gleichstellung zu einem geschlechtergerechten Sprachgebrauch in allen offiziellen Dokumenten verpflichtet und strebt an, daß die Verwendung einer geschlechtergerechten Sprache in der Lehre selbstverständlich wird.“

Warum meinen Sie, sticht dieses Argument nicht?

Plöhn: Das geht aus meinem Antwortschreiben an den Dekan hervor: „Sicherlich werden Sie die betreffenden Personen darauf hingewiesen haben, daß Sie in wissenschaftsspezifischen Fragen nicht meine Vorgesetzten sind. Auch werden Sie ihnen sicherlich erklärt haben, was es mit der Freiheit von Forschung und Lehre sowie der Bindung aller staatlichen Gewalt an die Achtung der Menschenwürde auf sich hat.“ Ein universitäres „Leitbild“ ist kein Gesetz und kann kein Maßstab für die Beurteilung der wissenschaftlichen Angemessenheit einer Ausdrucksweise sein.

Ja, aber was hat das mit der „Achtung der Menschenwürde“ zu tun?

Plöhn: Nun, die Gender-Sprache negiert die Männer, Beispiel: „Ärzt*innen“ – da kommt vielleicht eine Pause vor, aber die männlichen Vertreter dieser Zunft werden nicht für erwähnenswert gehalten, denn „Ärzt“ ist kein Wort.

Warum wollen Sie den Studenten nicht die Wahl lassen?

Plöhn: Ich lehre seit 1985, immer ohne Probleme – bis 2020: Da begannen einzelne Studenten, Gender-Sprache in ihrer Arbeit zu verwenden. Ich wollte nicht, daß das einreißt. Denn zum einen bietet Gender-Sprache gemäß dem Rat für deutsche Rechtschreibung keine zulässige Schreibweise für unsere Hochsprache. Zum anderen handelt es sich dabei um eine ideologisch geprägte Sprache – was nicht zur Wissenschaftlichkeit paßt.

Inwiefern?

Plöhn: Ich wurde 1992 als Assistent an die Universität Halle-Wittenberg berufen. Damals sagte mein Chef: Wir wollen hier das Fach Politologie nach westlichen Standards aufbauen – und dies ist das erste Institut für Politikwissenschaft in den fünf neuen Bundesländern. Das bedeutet: wir setzen den Standard! Und dieser muß eine klare Abwendung von zwei Diktaturen beinhalten. Das heißt: wir machen ideologiefreie Wissenschaft! – Das war für mich damals prägend. Doch sind Texte, die ideologisch geprägt sind, eo ipso unwissenschaftlich und entsprechen daher nicht universitären Leistungsanforderungen. Dies gilt für den Inhalt ebenso wie für den Stil – und insbesondere auch für die ideologisch geprägte Gender-Sprache. 

Ihren Äußerungen nach scheint es Ihnen auch um die Pflege der deutschen Sprache als Kulturgut zu gehen, richtig?

Plöhn: Die Pflege der deutschen Sprache ist nicht mein Beweggrund hinsichtlich der Ideologiefreiheit der Wissenschaftssprache. Das möchte ich auseinanderhalten! Wenn ich dazu etwas ausholen darf?

Aber bitte.

Plöhn: Mit dem Soziologen Ferdinand Tönnies kann man zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft unterscheiden. Für Gesellschaften sind formelle, verfaßte Strukturen typisch – Verträge, Gremien etc. Die gibt es in einer Gemeinschaft nicht. Dort beruht alles auf Konsens, Beispiel: Wir praktizieren eine gemeinsame Sprache und die Regeln, die wir daraus ableiten, setzen nicht irgendwelche Körperschaften, sondern die gibt sich die Gemeinschaft der Sprecher in ihrer Verständigung selbst. Dabei wandelt sich eine Sprache auf natürliche Weise. So hat mein Großvater noch eine Reihe früher üblicher französischer Fremdworte verwendet, die inzwischen von der Sprachgemeinschaft weitgehend ausgesondert worden sind. Dafür wurde zum Beispiel der Begriff „cool“ aufgenommen, mit dem man heute noch „up to date“ ist – in fünfzig Jahren aber möglicherweise total „out“. Etwas völlig anderes ist es dagegen, wenn eine Gruppe „von oben herab“ etwa durch Medien eine Veränderung der Sprache zu erzwingen sucht. 

Also geht es Ihnen doch nicht um die deutsche Sprache als Kulturgut, sondern um deren soziale Funktion?

Plöhn: Persönlich habe ich einen positiven Bezug zu unserer Sprache – aber den will ich anderen nicht aufnötigen. Doch aus sozialwissenschaftlicher Sicht läßt sich sagen, daß wir zum Zusammenhalt unserer so stark pluralisierten Gesellschaft gemeinschaftliche Elemente benötigen – wie eben unsere Sprache. Denn verlieren wir diese als integrierendes Element, funktioniert auch die Gesellschaft nicht mehr, da wir uns untereinander nicht mehr verständigen können. Das zeigt: jede Gesellschaft braucht Gemeinschaft. Oder, wie der bekannte Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde formuliert hat: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Dieses sogenannte „Böckenförde-Diktum“ paßt auf die Sprachgemeinschaft, die Glaubensgemeinschaft wie auch die Rechtsgemeinschaft. Wenn wir uns etwa nicht darüber einig wären, daß Recht verbindlich ist, bräuchten wir uns über neue Gesetze gar nicht zu streiten, da sie sowieso ignoriert würden.

Statt Sie, wie von Ihnen erhofft, zu unterstützen, hat die Universität beziehungsweise Ihr Institut angekündigt, „daß Sie keine Lehre mehr an der Martin-Luther-Universität anbieten können“. 

Plöhn: Wobei der Institutsdirektor nicht bedacht hat, daß er mir das Recht auf Lehre gar nicht nehmen kann. Dafür hat er mir nun aber jede Unterstützung gestrichen. Vor allem soll ich keine sogenannten Wahl-Pflichtveranstaltungen mehr halten dürfen. Das heißt, daß Studenten sich meine Seminare nicht mehr als Leistungsnachweis anrechnen lassen können – es also kaum noch Anreiz für sie gibt, sie zu besuchen. 

Die „Welt“ zitiert aus der, man muß wohl sagen sarkastischen E-Mail Ihres Institutsleiters an Sie: „Ich weiß nicht, sehr geehrter Herr Plöhn, ob Sie unter diesen Voraussetzungen noch Freude an der Lehre haben werden.“ Im Klartext, Sie sind kaltgestellt. Haben Sie also verloren?

Plöhn: Nein, ich habe, Stand heute, nicht verloren. Aber in der Tat habe ich erstmals seit 19 Jahren keine Lehrveranstaltung mehr angeboten. Andererseits erlebe ich ein ungeahntes Medieninteresse. Zudem teilen mir Menschen, die ich gar nicht kenne, uni sono ihre Sympathie, Zustimmung und Unterstützung mit. Es ist natürlich sehr belebend, zu erfahren, daß so viele ebenso denken wie ich. Darunter sind auch Studenten und junge Wissenschaftler, die mir sagen: Eigentlich denken wir wie Sie, aber um Leistungsnachweise zu bekommen oder am Institut nicht anzuecken, fügen wir uns.

Wie hatten denn eigentlich Ihre eigenen Studenten reagiert?

Plöhn: Entweder sie haben meine – ihnen detailliert erläuterte – Vorgabe akzeptiert oder sich ein anderes Seminar gesucht. Beides geht in Ordnung.

Erhalten Sie aus der Öffentlichkeit auch Kritik?

Plöhn: Ich kann nur sagen, was bei mir persönlich ankommt – und das ist einhellige Unterstützung.

Nun haben Sie eine Petition an den Landtag von Sachsen-Anhalt gerichtet. Was erwarten Sie sich davon?

Plöhn: Ich meine, daß das, was mir geschieht, nicht mit dem im Einklang steht, was das Grundgesetz in Artikel 5 garantiert, nämlich: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“, sowie ebenfalls nicht mit dem, was der Landtag dazu konkretisierend im Landeshochschulgesetz verabschiedet hat. Zwar stimmt es, daß die Universität den formellen Rechtsbruch zurückgenommen hat, dennoch richten sich ihre Maßnahmen in meinem Fall gegen die Freiheit der Lehre. Da möchte ich vom Landtag natürlich wissen, ob dieser das nicht auch für sanktionsbedürftig hält.

Welche Chancen sehen Sie realistischerweise für sich?

Plöhn: Doris Day hat 1956 in „Que sera“ gesungen: „The Future is not ours to see“. Ich weiß es also nicht – bin aber gespannt. 

Planen Sie, vor Gericht zu gehen?

Plöhn: Der Haltung von Landtag und Universitätsleitung möchte ich nicht vorgreifen. Vielleicht bewegt sich ja etwas.

Sie sprechen von einem Verstoß gegen die Freiheit der Lehre, dessen sich die Universität schuldig gemacht habe. Doch was bedeutet das konkret, für wie bedeutsam halten Sie den Vorgang? 

Plöhn: Für einen Wissenschaftler sind die Voraussetzungen, unter denen er Wissenschaft betreiben kann, elementar! Das mag aus Sicht der Gesamtgesellschaft eher randständig erscheinen, doch sind Universitäten Stätten, an denen neues Wissen entwickelt wird. Daher kommt ihnen für die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft erhebliche Bedeutung zu.

Inwieweit ist Ihr Fall dann also nicht nur ein universitärer Zwist, sondern ein Alarmzeichen für unsere Gesellschaft?  

Plöhn: Ich möchte das noch weiter fassen: Was mir an der Universität passiert, ist nur das eine. Das andere ist das Vorhaben, etwa über die öffentlich-rechtlichen Medien einen Sprachgebrauch durchzusetzen, der nicht natürlich und nicht derjenige der Gemeinschaft der Muttersprachler ist. Tatsächlich wird durch eine zum Teil bewußte Fehlinterpretation der deutschen Grammatik versucht, unserer Sprache eine andere Struktur zu geben und diese den Sprechern vorzuschreiben. Im übrigen stört es mich, von gewissen Medien immer wieder auf meine Geschlechtlichkeit hingewiesen zu werden. Ich halte das für eine Sexualisierung der Gesellschaft und insbesondere unserer Sprache, die uns kaum guttun kann. Übrigens behauptet etwa ZDF-Chefredakteur Peter Frey, daß seine jungen Journalistinnen die Gender-Sprache anwenden wollen, weil sie es auf der Universität so gelernt hätten. Daran sieht man, welche Bedeutung die Situation an den Unis für die Gesellschaft hat! Und eben deshalb ist es so wichtig, daß dort das Denken ideologiefrei bleibt, Opposition möglich ist und Widerspruch erkennbar wird. Der Staatsrechtler Martin Kriele hat geschrieben: „Der Gegenbegriff zur Ideologie ist nicht … Wahrheit, sondern Bereitschaft, mit sich reden zu lassen.“ Sowie: „Überzeugungen sind ideologisch, wenn sie nicht auf Gründen, sondern Interessen beruhen.“ Kriele fährt fort, eine solche Überzeugung „kann man nicht in aller Ruhe auf die Stichhaltigkeit ihrer Gründe hin prüfen lassen: Ein Symptom (wenn auch kein sicheres Indiz) für den ideologischen Charakter einer Überzeugung ist deshalb die gereizte, ärgerliche oder entrüstete Reaktion; die erfolgt, wenn die Richtigkeit der Überzeugung aus sachlichen Motiven in Frage gestellt wird.“ Da kann man sich ja mal fragen: Paßt das nicht auf unsere gegenwärtige Situation?

Manche Kritiker sehen die Gender-Bewegung als Teil einer Entwicklung, die auf die Abschaffung der Freiheit und Demokratie hinausläuft. Teilen Sie das?

Plöhn: Ich wurde bereits in der Schule mit dem „Wörterbuch des Unmenschen“ von Dolf Sternberger und anderen vertraut gemacht, das die Sprache der Nationalsozialisten analysierte, sowie mit George Orwells „1984“. Insofern ist mir die Bedeutung der sprachlichen Komponente von Diktaturen seit jeher bewußt. Im übrigen – und dabei beziehe ich mich auf einen Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – sei etwa die türkische Sprache insofern weitgehend Gender-neutral, als sie weder grammatisches Geschlecht noch Artikel kenne. Dennoch aber wird kaum jemand behaupten wollen, daß die türkische Gesellschaft besonders frauenfreundlich und „geschlechtergerecht“ wäre. Danach scheint nicht einmal die Grundannahme des Genderismus zuzutreffen, nämlich daß dessen ideologische Sprache wenigstens zu mehr „Geschlechtergerechtigkeit“ beitragen würde. 






Prof. Dr. Jürgen Plöhn, ist seit 2011 außerplanmäßiger Professor am Institut für Politikwissenschaft der Martin-Luther-Universität zu Halle und Wittenberg sowie Inhaber der Professur für Ökonomie und Politik an der privaten EBC-Hochschule Hamburg. Außerdem lehrte er in Kaiserslautern und Köln und war Akademischer Direktor des Zentrums für Deutschland- und Europastudien an der Universität von Sofia. Geboren wurde der Politologe und Verwaltungsrechtler 1957 in Hamburg.

Foto: Achtung Gendern (Montage): „Hat man mir jede Unterstützung gestrichen ... erstmals seit 19 Jahren biete ich kein Seminar mehr an. Andererseits erlebe ich ein unge­ahntes Medieninteresse“