© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Absage der Woche
Bleibet dahoim
Christian Vollradt

Der Dichter und Journalist des Wandsbecker Bothen, Matthias Claudius (1740–1815), prägte die sprichwörtlich gewordene Feststellung: „Wenn jemand eine Reise tut,  so kann er was erzählen.“ Jeder Überlebende eines Abends, an dem im Freundes- oder Familienkreis Urlaubsbilder gezeigt wurden, kann das bestätigen. Weit weniger präsent ist die Tatsache, daß auch das Gegenteil richtig ist: Wenn einer keine Reise tut, dann kann – oder könnte – er mindestens genausoviel erzählen. Zum Beispiel warum der Betreffende nicht reist. So sorgt dieser Tage für einigen Gessprächsstoff im Südwesten der Republik, daß der Fraktionsvorsitzende der CDU im baden-württembergischen Landtag, Manuel Hagel, kurzfristig seine Teilnahme an einer Delegationsreise von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in die USA abgesagt hat. Offizielle Begründung für den Storno: eine Kollision mit einem anderen Termin. In den „für gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen“ heißt es, Hagel bleibe in Wahrheit aus Sorge um mögliche Weiterungen in der sogenannten „Polizei-Affäre“ des Innenministers – und CDU-Landesvorsitzenden – Thomas Strobl (JF 40/22) im „Ländle“. Der mußte jüngst in einem Untersuchungsausschuß Rede und Antwort stehen, weil er im Verdacht steht, ein vertrauliches Dokument an die Presse durchgestochen zu haben. Sollte nun ein förmliches Ermittlungsverfahren eröffnet werden, wäre Strobl als Innneminister nicht mehr zu halten. Und auch wenn herauskäme, der Parteivorsitzende habe bei der Staatsanwaltschaft eine Einstellung gegen Geldzahlung erwirkt, würde ihm die CDU das kaum durchgehen lassen. Hinter vorgehaltener Hand wird gemunkelt, der smarte Hagel baue mit diesem kaum noch als subtil zu bezeichnenden Vorgehen Druck gegen Strobl auf, weil er ihn loswerden wolle. So etwas wird eben erzählt, wenn einer keine Reise tut.