© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Grüße aus … Santiago de Cuba
LGBTQ* auf kubanisch
Alessandra Garcia

An dem Tag nach dem die Kubaner die Bitte ihrer Bischöfe in den Wind geschlagen hatten, kam Ian. Der Hurrikan hatte sich drohend vor der kubanischen Küste aufgebaut, ehe er sich dann entschied, doch nicht mit voller Wucht über die von Atheisten regierte Insel zu rasen, sondern weiter nach Florida zu ziehen. Seine Kraft reichte trotzdem aus, um allen acht Millionen Wahlberechtigten und den übrigen Kubanern stromlose Tage zu bescheren. Der staatliche Energiekonzern Electric Union meldete eine „außergewöhnliche Lage“ im nationalen Energiesystem: ein ganzer Staat ohne Stromversorgung. In der Nacht versank die Insel in Dunkelheit.

Viele Kubaner fühlten sich prompt an die Worte der katholischen Geistlichkeit erinnert, die gewarnt hatte, gegen den „ursprünglichen Plan des Schöpfers“ zu stimmen und die Ehe „zwischen einem Mann und einer Frau, die die Grundlage der Familie ist“, durch „andere rechtlich konstruierte Formen“ zu ersetzen. Es sei für die kubanische Familie nicht von Vorteil, „die Kriterien dersogenannten Gender-Ideologie anzuwenden, die die Grundlage vieler Vorschläge ist“, schrieben die Bischöfe in ihrer Botschaft.

Neben der Ehe für alle können nun Minderjährige chirurgische Operationen an sich vornehmen lassen. 

„Erleuchtet vom Heiligen Geist“ sollten die Kubaner bei dem für den 25. September angesetzten Referendum „die beste Entscheidung für die Gegenwart und die Zukunft der Kinder dieser Nation treffen“ und dem gottlosen Familiengesetz, das von der Nationalversammlung bereits beschlossen war, eine Abfuhr erteilen. Aber lediglich 1,95 Millionen Kubaner folgten diesem Aufruf, während 3,9 Millionen dem Kodex zustimmten. 26 Prozent blieben gleich zu Hause, auch weil in der Verfassung von 2019 bereits die Ehe nicht mehr als „freiwilliger Bund zwischen einem Mann und einer Frau“ festgeschrieben wurde, sondern sich jetzt die Formulierung „zwischen zwei Personen“ darin fand.

Die Wut darüber war so groß gewesen, daß die Regierung vor drei Jahren entschied, Ehe- und Geschlechterfragen über ein neues Familiengesetz zu regeln. Tatsächlich soll es nach Angaben von Justizminister Oscar Silvera Martínez exakt 336.595 Interventionen gegeben haben, die zu inhaltlichen Änderungen von 49,15 Prozent des ursprünglichen Papiers geführt hätten. Seltsamerweise liest sich der darauf entstandene Kodex trotzdem, als wäre er nicht von Kubanern, sondern von einer westlichen LGBTQ*-Community verfaßt worden: Neben der Ehe für alle können nun Minderjährige, so beklagen die Bischöfe, ohne elterliche Zustimmung, chirurgische Operationen an sich vornehmen lassen, die ihre existentielle oder identitätsbezogene Situation beeinflussen. Gleichgeschlechtliche Eltern können Kinder adoptieren, Techniken für künstliche Befruchtung für gleichgeschlechtliche Paare sowie Leihmutterschaften sind zugelassen.