© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Nichts Genaues weiß man nicht
Anschläge auf Nord-Stream-Pipelines: Nach dem Schock folgen die Untersuchungen
Jörg Sobolewski

Auch eine Woche nach dem Anschlag auf die beiden Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 ist die Frage nach den Schuldigen an dem Desaster ungeklärt. Denn die Faktenlage ist bisher dünn, nach Explosionen an einem Strang der Pipeline Nord Stream 2 kam es auch an beiden Strängen der Pipeline Nord Stream 1 nach Explosionen zu einem Druckabfall. Alle Lecks befinden sich in den ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks beziehungsweise Schwedens in siebzig bis achtzig Meter Tiefe. 

Die in Schweden registrierten Erschütterungen ließen auf eine Sprengung der Röhren schließen. Aussagen deutscher Sicherheitsbehörden zufolge müßte es sich um Sprengkörper die mit mehreren hundert Kilotonnen TNT vergleichbar sind, gehandelt haben. Die Frage nach dem Urheber ist auch deshalb so brisant, weil die Liste der Verdächtigen lang und äußerst prominent ist. Sicher scheint zum aktuellen Zeitpunkt nur, daß es sich um einen staatlichen Akteur gehandelt haben muß.

Die US-Regierung unter Joe Biden hatte in der Vergangenheit mehrfach angekündigt, das Pipelineprojekt notfalls auch im Alleingang stoppen zu wollen. Kritiker sehen darin ein vorweggenommenes Schuldbekenntnis. Auch die Präsenz eines Verbands der US-Navy in relativer räumlicher Nähe zum Explosionsort wirft zumindest die Frage auf, ob in einem der bestüberwachten Seegebiete der Erde dem Flottenverband nicht wenigstens etwas aufgefallen sein müßte. In den USA selbst mehren sich Stimmen, die ebenfalls der eigenen Regierung ein Interesse an der Sabotage unterstellen; der konservative Moderator Tucker Carlson etwa, der seiner Regierung vorwarf, höchstwahrscheinlich an „Terrorismus“ beteiligt zu sein. 

„Wir haben zu diesem Zeitpunkt mehr Fragen als Antworten. Wir werden den Ermittlungen nicht vorgreifen. Eine Untersuchung wie diese könnte aufgrund der Art der Untersuchung – zum Beispiel unter Wasser – durchaus Zeit in Anspruch nehmen. Wir werden also die Ermittlungen abwarten, bevor wir Theorien oder Hypothesen aufstellen“, erklärte der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, gegenüber der US-Presse, um wenige Minuten darauf einen Fingerzeig in Richtung Moskau zu geben. Natürlich sei er nicht in der Lage, sich zu irgendwelchen Geheimdienstinformationen zu äußern, so der 39jährige. „Was wir kommen sahen, was viele Länder auf der ganzen Welt kommen sahen, waren die Versuche Rußlands – im großen und ganzen, ohne auf die Ereignisse der letzten 24 Stunden einzugehen –, Energie als Waffe einzusetzen. Und das haben wir schon seit den ersten Tagen dieses Konflikts gesehen. Wir haben das schon vor dem Einmarsch Rußlands in die Ukraine gesehen.“ Besonders deutlich äußerte sich die polnische Regierung. Rußland als Urheber sei „zunehmend wahrscheinlich“, dahinter stecke ein Plan, die bereits vorhandenen Bruchlinien zwischen den europäischen Partnern in Sachen der Energiesicherheit „weiter zu vertiefen“. 

Von russischer Seite kommt ein vorsichtiger Fingerzeig über den Atlantik, die Nato habe im Juli Übungen in der Nähe des Anschlagsortes durchgeführt, dabei sei auch „Tiefsee-Equipment“ genutzt worden, erklärte die Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa. Tatsächlich fand im Juni das Nato-Manöver „BALTOPS22“ in der Region statt, Teilnehmer waren neben den USA auch die Anrainer Dänemark, Finnland und Schweden. 

Skandinavische Staaten erhöhen Sicherheitsvorkehrungen

Alle drei Länder haben mittlerweile ebenfalls angekündigt, die Lecks zu untersuchen. Zu Beginn dieser Woche hat die schwedische Marine ihr U-Boot-Rettungsschiff „Belos“ sowie Schiffe der Küstenwache in die internationalen Gewässer nordöstlich von Bornholm geschickt, wo Nord Stream 1 und 2 von drei Lecks betroffen sind. Auch die dänischen Fregatten „Absalon“ und „Esbern“ sowie das deutsche Taucherschulboot „Baltrum“ operieren dort nach Angaben der Zeitung Dagens Nyheter. 

Auf einer Pressekonferenz bezeichnete die finnische Premierministerin, Sanna Marin, den Anschlag als Teil eines „größeren Plans, die europäische Sicherheit zu unterminieren“. Mit Schuldzuweisungen hielt sich die Sozialdemokratin bisher allerdings zurück. Ein mögliches Motiv des Anschlags sei, „Europa einzuschüchtern“. 

In Stockholm hat derweil der schwedische Geheimdienst die offiziellen Ermittlungen von der regulären Polizei übernommen, es handle sich anscheinend um „einen vorsätzlichen Akt“, um die Energielieferungen an Europa zu unterbrechen. Auch die schwedische Regierung hält sich bisher mit Schuldzuweisungen zurück. Gleichzeitig erhöhte die schwedische Regierung die Sicherheit der eigenen Energieinfrastruktur, läßt nun unter anderem Kraftwerke stärker überwachen. Auch Norwegen setzt nach dem Angriff auf mehr Bewachung, norwegische Soldaten sollen nun die Sicherheit von Öl- und Gasplattformen sowie Pipelines bewachen.

 Meinungsbeitrag Seite 2