© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

„Russenparteien“ abgestraft
Parlamentswahl in Lettland: Die liberal-konservative Regierungspartei Neue Einheit siegt / Schwierige Suche nach neuen Partnern
Paul Leonhard

Kurz vor der Parlamentswahl am 28. September hatte der lettische Präsident, Egils Levits, seine Landsleute noch einmal beschworen, an der Saeima-Wahl teilzunehmen. „In den nächsten vier Jahren braucht Lettland eine Saeima und eine Regierung, die das Land sicher durch stürmische Gewässer führen kann“, zitiert das lettische Nachrichtenportal LSM den Richter am Europäischen Gerichtshof. Der „verwundete, aber nicht besiegte russische Imperialismus“ werde Lettland und Europa weiterhin bedrohen, die russische Energieerpressung werde fortgesetzt, die Preise würden steigen und der Lebensstandard“ werde leiden, so der Präsident weiter. Daher brauche Lettland eine Regierung, deren Priorität die Sicherheit Lettlands sei. Dies beinhalte die Entwicklung der Streitkräfte, die Einrichtung eines nationalen Verteidigungsdienstes und die enge Zusammenarbeit innerhalb der Nato.

Vor allem drückte der Präsident sein Mißtrauen gegenüber Parteien aus, deren Vertreter zu Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine noch nicht in der Lage waren zu sagen, wer der Aggressor war. 

Gerade in diesem Punkt folgten die Letten ihrem Präsidenten. Denn die Sozialdemokratische Partei „Harmonie“ (SDPS/Saskana) – bisher immer die stärkste Gruppierung im Parlament –, die überwiegend von der russischsprachigen Minderheit gewählt wurde, fiel von 19,8 Prozent (2018) auf 4,8 Prozent. Lettlands Union der Russen, die die russische Position rigoroser formulierte und gegen den Abriß des Siegesdenkmals demonstrierte, konnte die Verluste nicht auffangen. Sie kommt erneut auf 3,6 Prozent und ist wie die SDPS nicht mehr im Parlament vertreten.

Ministerpräsident Arturs Krišjānis Kariņš und seine liberal-konservative Partei Jaunā Vienotība (JV, Neue Einheit) konnten dagegen punkten. Mit 19 Prozent (plus 12,3 Prozent; 26 Sitze) gewannen sie die Wahl. 

Gefolgt werden sie von dem Bündnis der Grünen und Bauern (ZZS; 12,4 Prozent; 16 Sitze), dem Bündnis Vereinte Liste (AS; 11 Prozent; 15 Sitze) und der rechts-konservativen Nationalen Vereinigung „Alles für Lettland“ (NA; 9,3 Prozent; 13 Sitze), der lettisch nationalistischen Partei für Stabilität (S; 6,8 Prozent; 11 Sitze), der christlich-patriotischen Partei „Lettland an erster Stelle“ (LPV; 6,2 Prozent; 9 Sitze) und der sozialdemokratischen Partei der „Progressiven“ (P; 6,2 Prozent; 10 Sitze).

Trotz des Sieges der JV steht Kariņš nun vor einem Dilemma. Denn alle seine bisherigen Koalitionspartner verzeichneten Verluste. Während die Nationale Allianz nur schwach verlor, scheiterten die Konservativen und das liberale Parteienbündnis Für Entwicklung/Pro (AP) an der Fünfprozenthürde. 

Dessenungeachtet gab Präsident Egils Levits Ministerpräsident Kariņš nach Angaben von LSM grünes Licht für „vorläufige“ Gespräche zur Regierungsbildung. In der Folge habe Kariņš darauf hingewiesen, daß sowohl Drei- als auch Vier-Parteien-Modelle möglich seien, und hinzugefügt, daß er von einer Regierung eine „Reformkoalition“ erwarte, die „strukturelle Reformen“ in Angriff nehmen würde. Zu den potentiellen Partnern zählen die Vereinigte Liste, die Nationale Allianz und die Progressiven.

„Ich danke all jenen, die sich nicht von den Verleumdungs- und Desinformationskampagnen der konkurrierenden politischen Kräfte gegen uns haben anstecken lassen“, schrieb der Vorsitzende der Harmonie-Partei, Jānis Urbanovičs, an seine Anhänger und versprach: „Wir werden für diejenigen kämpfen, die von lauten, aber leeren Wahlversprechen verwirrt sind. Wir werden Ihr Vertrauen zurückgewinnen, denn die Gesellschaft in Lettland braucht Harmonie.“