© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

US-Bundesstaaten locken deutsche Firmen mit billiger Energie an
Bye-bye Germany
Thomas Kirchner

Fließt kein billiges Gas zu den Unternehmen, sind sie nicht automatisch insolvent, sie müssen dann aber aufhören zu produzieren. Das glaubt Wirtschaftsminister Robert Habeck. Was der Grüne nicht bedacht hat: Die Firmen können auch zum billigen Gas ziehen. Ging Abwanderung bisher Richtung Osten, droht jetzt Abwanderung in den Wilden Westen, wo Erdgas reichlich vorhanden und billig ist. Aktuell locken mehrere US-Bundesstaaten gezielt deutsche Unternehmer mit niedrigen Preisen und Steuern. Wie hoch diese wirklich sind, ist im Dickicht von Bundessteuern, lokalen Steuern, Subventionen, Mindeststeuern und Doppelbesteuerungsabkommen nicht so klar. US-Finanzministerin Janet Yellen erwägt kurz vor den Zwischenwahlen eine Erhöhung der Unternehmenssteuern auf 32 Prozent.

Erdgas kostet in den USA etwa ein Zehntel soviel wie derzeit in Deutschland, Strom etwas mehr als ein Viertel. Deutschland will Flüssigerdgas (LNG) ohne Rücksicht auf einen wettbewerbsfähigen Preis importieren, doch in einem exportorientierten Industrieland stellt sich bei zu hohen Kosten die Frage: Die Marktanteile der ausländischen Konkurrenz überlassen oder selbst im Ausland fertigen? Etwa 500 deutsche Unternehmen haben schon ihren US-Sitz in Georgia. In München und elf anderen Städten unterhält der republikanisch regierte Ostküstenstaat eine Wirtschaftsvertretung. Atlanta ist nicht nur Sitz von Coca-Cola und CNN, sondern auch Standort des weltgrößten Flughafens.

Zwei Flugstunden westlich davon liegt Oklahoma. Dessen Gouverneur,  Kevin Stitt, selbst einst Unternehmer, wirbt mit niedrigen Lebenshaltungskosten und billiger Energie: Oklahoma sitzt – wie der südliche Nachbar Texas – auf riesigen Öl- und Gasvorkommen, die schon in präkolumbianischer Zeit genutzt wurden. Die amerikanischen Avancen stoßen auf offene Ohren. In einer Umfrage des Industrieverbands BDI gab ein Viertel der Firmen an, eine Verlagerung ins Ausland in Betracht zu ziehen. Doch für kleinere Betriebe, das bisherige Rückgrat der deutschen Wirtschaft, ist Abwandern keine realistische Option.

Und es sind nicht nur deutsche Unternehmen, die abwandern. Der von dem indischen Milliardär Lakshmi Mittal kontrollierte Stahlkonzern ArcelorMittal kündigte die Halbierung der Produktion in zwei deutschen Werken an – statt dessen expandiert das Werk in Texas. Das Wiedererstarken der US-Industrie aber liegt nicht nur an Europas Energiemisere. Die Rückverlagerungen aus Asien begannen schon zur Zeit von Donald Trumps Handelskrieg und sie nahmen nach den Corona-Verwerfungen richtig zu. Der alte Industriegürtel im Nordosten profitiert davon zwar auch, aber in den US-Südstaaten ist die Dynamik spürbarer: Das weltweit größte BMW-Werk befindet sich in Spartanburg (South Carolina). In Georgia lagen Investitionen 2021 um 94 Prozent über dem vorherigen Höchststand, die Zahl neuen Arbeitsplätze lag 53 Prozent darüber. Kommt die Abwanderungswelle aus Deutschland in Schwung, könnte Georgia erneut Rekorde aufstellen.

Für die deutsche Wirtschaft und künftige Steuereinnahmen heißt das nichts Gutes. Unternehmen schicken zum Aufbau neuer Auslandsfilialen ihre erfahrensten Mitarbeiter. Haben die sich erst einmal eingelebt und an die deutlich höheren US-Gehälter gewöhnt, werden nicht alle wieder nach Deutschland zurückkehren. Somit wandern nicht nur die Firmen, sondern auch die Hochqualifizierten ab.