© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Mehr Verwirrung als Klarheit
Krisenpaket: Die 27 EU-Energieminister haben neue Maßnahmen gegen die hohen Energiepreise beschlossen / Nationale Programme bleiben
Albrecht Rothacher

Verzehnfachte Strom- und Gaspreise, Lieferausfälle, Inflationsraten von 6,2 Prozent (Frankreich) bis 24,2 Prozent (Estland) und energieintensive Branchen von der Bäckerei bis zum Zementwerk, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind – die Lage in der EU ist dramatisch. Das haben die 27 Regierungen und die Kommission in Brüssel erkannt. Entsprechend hektisch versuchten sie bei einem Sondertreffen der Energieminister eine gemeinsame Lösung. Herausgekommen ist wenig.

Erste tolle Idee: Die EU kauft mit ihrer geballten Marktmacht gemeinsam ein und setzt einen Höchstpreis für importiertes Gas. Eine „Einkaufsgemeinschaft“ (Robert Habeck) soll, ähnlich wie Aldi und Lidl, die „Markenartikler“ (Gaslieferanten) zu Billigpreisen zwingen. Das wird so funktionieren wie der Impfstoffeinkauf vor anderthalb Jahren, als Israel, die USA und England schneller waren und mehr zahlten. Doch die Tanker mit Flüssigerdgas (LNG) fahren jene Terminals an, die besser zahlen, zum Beispiel in Ostasien. Für Deutschland, Österreich, die Niederlande und Dänemark geht Versorgungssicherheit vor Preis. Bei Ländern, die billigeres fixes Pipelinegas erwarten können, wie Spanien, Griechenland und Italien, ist es umgekehrt.

Die meisten Stromerzeuger in der EU sind in staatlicher Hand

Zweite schlaue Idee: Gas sparen, anstatt es wie Wladimir Putin aus lauter Bosheit in Karelien abzufackeln. Fünf Prozent verpflichtend, zehn Prozent sollen freiwillig seien. Und die dritte brillante Idee: Die Deckelung der Strompreise bei 180 Euro pro Megawattstunde (18 Cent pro Kilowattstunde/kWh) – derzeit liegen die Großmarktpreise in Deutschland bei 315 Euro, die mit Steuermilliarden heruntersubventioniert werden müßten. Doch damit fiele, wie in Spanien bereits geschehen, der Anreiz zum Sparen weg. Wieder keine Einigung.

Vierte Idee: Die „Übergewinne“ der Stromanbieter als „Solidaritätsabgabe“ abschöpfen und wie Robin Hood an die armen Verbraucher verteilen. Wegen des Merit-Order-Systems, wo das teuerste zugeschaltete Gaskraftwerk den Strompreis bestimmt, verdienen sich Solar-, Wind-, Kohle- und Kernkraftwerke derzeit eine goldene Nase. Ihnen soll ein Drittel ihrer Gewinne abgenommen werden, die um 20 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen vier Jahre liegen. Das soll laut EU-Kommission 140 Milliarden Euro bringen. Doch die meisten EU-Stromerzeuger sind in staatlicher Hand: Das Geld wird also zwischen zwei staatlichen Taschen umgeschichtet. Und für private Investoren entfällt der Anreiz zum Investieren. So stiftet diese Einigung vom Freitag mehr Verwirrung als Klarheit – und die nationalen Maßnahmen kommen dazu.

In Frankreich dürfen die Strompreise dieses Jahr nur um vier Prozent steigen, 2023 sollen Strom und Gas nur um höchstens 15 Prozent teurer werden. Doch 2022 kostet das 20 Milliarden Euro, 2023 sind es 43 Milliarden – vorausgesetzt, der billige Atomstrom fließt wieder. Österreich hat ab Dezember einen Strompreisdeckel von zehn Cent pro kWh für einen Jahresverbrauch pro Haushalt von bis zu 2.900 kWh eingeführt. Das soll drei bis vier Milliarden Euro kosten. Für den Mehrverbrauch ist aber der Marktpreis fällig. Zudem gab es 500 Euro „Klima- und Anti-Teuerungsbonus“ für jeden – einschließlich Asylanten und Häftlinge. Für Kinder gab es 250 Euro. Gleichzeitig verteuert aber die „CO2-Bepreisung“, ähnlich wie Deutschland, das Benzin um zehn Cent pro Liter. Und die österreichische Stromrechnung besteht zu 28 Prozent aus dem tatsächlichen Verbrauch. Der Rest sind Kosten für die Netznutzung, den Netzverlust, den Meßpreis, eine Elektrizitätsabgabe, eine Ökopauschale, Förderbeiträge für die „Erneuerbaren“ – plus 20 Prozent Umsatzsteuer auf alles. Und das erklärt auch die Inflationsrate von elf Prozent.