© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Die Umwertung aller Werte
Stoßgebet: Der bekannte ZDF-Journalist und Bestsellerautor Peter Hahne hat die Ehrendoktorwürde der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel erhalten. Die JF dokumentiert hier Auszüge aus seiner Dankesrede
Peter Hahne

Wenn mich einer fragt, wie so oft: fassen Sie doch mal in wenigen Sätzen ihre Ansichten und Absichten zusammen, die Grundmotivation ihres Lebens und ihres Wirkens, dann sage ich: Nehmen Sie sich 3:38 Minuten Zeit, und Sie wissen alles: Die Mächtigen kommen und gehen. Und lehrt eure Kinder das Eine, daß über Gott keiner mehr steht. Wer stirbt, der wird nicht nur zur Erde, Gott ruft ihn zum Jüngsten Gericht vertraut auf den Herrn und sein Wort für immer.

Wir könnten jetzt zum Apéro gehen, mehr gibt es nämlich nicht zu sagen, auch zu meinem Thema nicht: Holt Gott zurück in die Politik.

Wir alle erfüllten den Auftrag der deutschen Ampel-Regierung. Vor genau einem Jahr schrieben sie in den Koalitionsvertrag unter der Rubrik Medienpolitik die eherne Forderung: Wir treten ein für Diversität und Vielfalt. Wir, liebe Regierung, sind diese Vielfalt und garantieren Euch die Diversität! Wir sind sozusagen der bunte Regenbogen der Meinungsfreiheit. Wie langweilig wäre es ohne Christen, ohne Alternativmedien, ohne einen Peter neben Claudia und Claus, also Roth und Kleber.

Ein intellektuelles Mittelmaß regiert uns in Staat und Kirche

Keine Sekunde habe ich gezögert, als Sie mir die gute Nachricht übermittelten, lieber Rektor Professor Jakob Thiessen, lieber Senat dieser wunderbaren staatsunabhängigen Universität, ein Modell, das es in Deutschland nur bei den katholischen Universitäten gibt. Danke! Ich bin Ihnen seit Gründung verbunden, mit meinem Lehrer Professor Peter Beyerhaus kam ich als Student aus Tübingen hierher. (…) Ich habe viele Vorträge über Medien und Kommunikation hier bei der STH gehalten und die Laudatio zur Ehrendoktorwürde meines ältesten Freundes Helmut Matthies, mit der Nachrichtenagentur idea der wichtigste evangelische Publizist der letzten Jahrzehnte.

Wie kommen wir aus der gegenwärtigen Krise raus? Wie ist denn die Lage? Mit Ideologie soll ein Virus bekämpft werden. Wahnsinn! Ein intellektuell schwachbrüstiges Mittelmaß regiert uns in Staat und Kirche. Was übrigens inzwischen eine Beleidigung des Mittelmaßes ist. Ein Wirtschaftsminister empfiehlt allen Ernstes, die Pleite dadurch abzuwenden, daß man ein paar Monate nicht mehr produziert oder konsumiert. Klar, die Queen ist ja auch nicht tot. Sie hat nur für ein paar Wochen aufgehört zu atmen. In der größten Not der Nachkriegszeit debattiert die CDU über die Frauenquote und deren Vorsitzender Angela Merz kann auf die Frage, wie viele Geschlechter es gibt, keine eindeutige Antwort geben.

Eine EKD-Ratsvorsitzende kann straffrei schwurbeln, daß es, ich zitiere, „wissenschaftlich erwiesen ist, daß Corona-Impfungen keinerlei Nebenwirkungen haben“. Heller Wahnsinn! Die größte Verschwörungstheorie aller Zeiten. Das sagt noch nicht mal Herr Biontech mit der Mainzer Adresse „An der Goldgrube“, in deren Nähe ich 15 Jahre wohnte.

Harmlose Demonstranten nennt ein CDU-Innenminister Staatsfeinde, und der aktuelle Vorsitzende der Strauß-Partei CSU rückt sie in die Ecke der RAF. Kritische Pfarrer, die sich dieser ewigen regierungsamtlichen Fakenews-Verschwörungstheorie widersetzen, verlieren Funktionen, Journalisten erhalten geradezu Berufsverbot. Kritiker, die diese elende Schwurbelei der Fast-Allparteien-Ideologie nicht mitmachen, die dieses geistige Wandlitz satt sind, sitzen in den modernen Gulags der Herrschenden. Das geht bis zur Existenzvernichtung oder der Abschaltung von Kommunikationstechnik oder Bankkonten.

Und das Schlimmste: die Frommen, die Konservativen, die Bürgerlichen, sie schweigen dazu. Sie schweigen! Die Ausnahme hat sich heute hier versammelt. Und ich hoffe, das Volk nimmt in den kommenden Monaten den Rat der Ärzte sehr, sehr ernst. Die einzige Möglichkeit, gesund und fit durch die Krise zu kommen: viel spazierengehen. Das hilft! Vor allem montags. Das stabilisiert das Immunsystem, auch gegen den geistigen Müll.

Wer heute Winnetou abschafft, schafft morgen die Bibel ab. Sie werden sich noch an meine Worte erinnern. Denn da stehen, nimmt man die Gründe der Karl-May-Kritiker zum Maßstab, viel, viel schlimmere Sachen drin. Schindluder wird nur mit der Bibel gemacht, an den Koran wagt sich keiner. Und heute glauben die Menschen alles, es darf nur nicht in der Bibel stehen. Lieber im veganen Kochbuch, im Handbuch für Fitneß oder in der schwäbischen Energie-Sparfibel. Und Christen schweigen dazu! Wie bei der Okkupation des Regenbogens. Kein Widerstand. Und heute verbindet kein Mensch mehr mit dem Regenbogen das Segenszeichen Gottes.

Michail Gorbatschow sagte mir mal bei einer Springer-Veranstaltung: „Der Kommunismus kennt keine Barmherzigkeit!“ Unvergessen! Wer zum Beispiel AfD-Wähler von kirchlichen Ämtern oder sogenannten Kirchentagen aussperrt, dort aber antisemitisch-pro palästinensische Parolen verbreitet, oder wer Gottesdienste rein digitalisiert, wer alte Menschen in die Isolation, in die Einsamkeit treibt und ungetröstet sterben läßt, ist ein unbarmherziger Tyrann. Und er sollte sich nicht mehr nach dem Namen des Christus nennen – vor allem Parteien nicht.

Es gibt keinen vorurteilsfreien wissenschaftlichen Diskurs mehr

Nehmt der CDU/CSU endlich das C! Aktuell in diesen Tagen diskutiert die deutsche CDU, ob sie konservativ sein will. Unter Helmut Kohl noch selbstverständlich. Nein, heißt es nun, wir sind nicht konservativ, wir sind christlich. Was für ein Etikettenschwindel! Bei der letzten Wahl stand erstmals keine Silbe zum wichtigsten christlichen Thema der Gegenwart im Programm: zur millionenfachen Tötung ungeborener Kinder im Mutterleib. Keine Silbe!

In meiner Bibel steht der einladende Grundsatz des Christentums seit 2.000 Jahren, nämlich das Jesus-Wort: Kommet her zu mir ALLE, die ihr mühselig und beladen seid! Alle! Daraus machten Christen 2020: … nur, die ihr geimpft und geboostert seid. Eine Schande! Jesus ist inklusiv und grenzt niemand aus, heißt es doch in der queeren Regenbogenfrage gebetsmühlenartig. Ach! Und wo bleiben die Querdenker, die Ungeimpften und die, die getrenntes Müllsammeln eben nicht für Evangelisation halten? Manchen Mode-Bischöfen und Zeitgeist-Evangelikalen rate ich zu einer Bibeltherapie, zu einer Luther-Kur.

Es gibt in unserem Land keinen offenen, vorurteilsfreien wissenschaftlichen Diskurs mehr. Nur noch die Ideologie der Halbgebildeten. Studenten wollen gewarnt werden, wenn in den historischen Vorlesungen patriarchalistische, gewaltverherrlichende, queer-feindliche Passagen vorkommen. Sich also die Ohren zuhalten. Wie ist es zu erklären, daß dasselbe Volk, das Kindern Indianerkostüme oder Wasserpistolen verbietet, geradezu kriegsgeil nach schweren Waffen lechzt. Die EKD steht ja kurz vor einer neuerlichen wilhelminischen Waffensegnung. Daß in einer queer-pazifistischen Waschlappen-Welt (Gruß an die Schwaben!) der martialische Krieger, der muskelbepackte bis an die Zähne bewaffnete Held plötzlich zum Ideal erhoben wird? Bis in die Mode hinein. Ja, haben wir denn unsere Köpfe nur noch zum Essen?!

Meine Freunde! Wenn ich eins beklage, dann neben all dem Genannten dies: Wir Christen haben aus der Hoffnungsbotschaft des Evangeliums eine Angstreligion gemacht! Erstmals in der Geschichte des Christentums! Früher war es das Markenzeichen der Kirchen und der Christen, Hoffnung in hoffnungsloser Zeit zu spenden, indem man die Leute sammelte, tröstete, mit ihnen gemeinsam Gottesdienst feierte – ob in Stalingrad (mein Vater berichtete bewegend davon), Auschwitz, in Pest und Cholera oder den Untergrundkirchen. Das war christliche Kernkompetenz. Kein anderer machte das, allein Christen.

Deshalb: Holt Gott zurück in die Politik! Aber auch zurück in die Kirchen und Gemeinden! Wir kümmern uns um gendergerechte Sprache und all dieses wirklichkeitsferne Allotria, aber haben die Fundamental-Botschaft vergessen. Ja, inzwischen haben wir vergessen, daß wir Gott vergessen haben. Statt dem Star von Bethlehem die Sternchen von Absurdistan! Das ist die Crux.

Und apropos Kreuz: Was soll ein normal tickender Mensch, der alle Sinne beisammen hat, denn von einer Organisation halten, deren oberste Repräsentanten einen Kilometer Luftlinie von Golgatha ihr Kreuz ablegen, wenn sie die Al-Aqsa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg besuchen.

Oder aktuell in dieser Woche die Deutsche Fußballnationalmannschaft, die doch so gerne ganze Stadien in Regenbogenfarben hüllt, vor allem gegen Ungarn, gegen die sie dann auf dem Rasen jämmerlich verlieren. Doch wenn es drauf ankommt, jetzt in Katar, dann haben diese milchgesichtigen Memmen noch nicht mal den Mumm, stolz und wiederständig ihren Regenbogen zu tragen. Nein, da kriechen sie mit selbst-kreierten Micky Maus-Armbinden auf den Platz. Erbärmliche Feiglinge! Was übrigens symbolisch für unsere ganze Gesellschaft steht: Gratismut, wo es nichts kostet – aber wehe, der Preis ist zu hoch.

Auch die Politik kuscht. Buckeln erst vor Putin, jetzt vor den Israel-Zerstörern, den Öl- und Gas-Scheichs. Erst kommt die Energie, dann die Moral. Das unterscheidet sie von Leuten, die mit Ernst Christ sein wollen. Wer Gott in die Bilanz seines Lebens einkalkuliert, rechnet mit Widerstand und fällt nicht aus den Puschen, wenn der tatsächlich eintritt. Im Gegenteil: wo Jesus segnet, verdammt der Teufel am heftigsten. Ohne Gott hätte ein Solschenizyn nicht überlebt, hätte es keine friedliche Revolution in der DDR gegeben oder hätten viele nicht die Kraft, in diesen verheerenden Monaten jetzt durchzuhalten.

Wenn Immanuel Kant recht hat, daß Aufklärung der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit ist, dann sind ausgerechnet seine Landsleute heute versklavt in selbstverschuldeter Unfreiheit. Sie folgen schlicht den falschen Propheten. Und das wissentlich und willentlich. Verkauft unter dem Etikett Haltung. Beim deutschen diplomatischen Dienst gilt ja die neue feministische Außenpolitik, und die wird durch die Ministerin offiziell so erklärt: Haltung ist wichtiger als Leistung und Fähigkeit. Meine Empfehlung an die Kliniken: diesen Ideologen bei einer Operation künftig sagen: wir haben zur Zeit leider keinen feministischen Chefarzt zur Hand, das übernimmt heute mal unsere Putzfrau – aber mit Haltung!

Um zu zerstören, braucht man keine Fähigkeiten. Es reichen Radikalität, Gewissenlosigkeit und das Gefühl, dazu berufen zu sein. Aus allem wird dann, in religiöser Überhöhung, eine Wende, das moderne Tarnwort für Zerstörung. Was heute unter Haltung läuft, halten Orthopäden für Haltungsschäden, weil das Rückgrat fehlt.

Christen sind Kreuz- und Querdenker, keine Anpasser

Wir erleben die Umwertung und Umwälzung aller Werte. Ohne Gott ist alles wertlos, weil sinnlos. Wir haben Maß und Mitte verloren. Christen sind Kreuz- und Querdenker. Keine vom Zeitgeist getriebenen Anpasser. Das ist die großartige Spannung des christlichen Glaubens, der eben Gedanken- und Entscheidungsfreiheit kennt und eben deshalb weder eine Religion noch eine Ideologie ist.

Festhalten an der Bibel, damit steht und fällt alles. Festhalten an den Zehn Geboten. Doch inzwischen glauben selbst Fromme, daß es mehr Geschlechter gibt als Gebote. Ich setze dagegen mit den Worten Ernst Moritz Arndts von 1819: „Ich weiß, was ewig bleibet, wo alles wankt und fällt, wo Wahn die Weisen treibet und Trug die Klugen prellt.“ Wir sind umgeben von diesen Klugen, vom Kinderbuchautor bis hin zu Kreuzesverleugnern im Bischofsamt.

Seit meiner Jugend prägt mich ein Lied, das der schwäbische Pietist Otto Riethmüller 1932 als Bollwerk gegen die braunen Sozialisten geschrieben hat In den entscheidenden Strophen heißt es geradezu flehentlich, und das ist mein Gebet für uns alle, weil es aktueller denn je ist:

In die Wirrnis dieser Zeit

fahre, Strahl der Ewigkeit;

zeig den Kämpfern Platz und Pfad

und das Ziel der Gottesstadt.

Herr, wir gehen Hand in Hand,

Wandrer nach dem Vaterland;

laß dein Antlitz mit uns gehn,

bis wir ganz im Lichte stehn.

Manche mögen vielleicht jetzt meinen: Na ja, wer’s glaubt, wird selig. Wenn Sie das jetzt denken, haben Sie alles verstanden, was ich meinte. Denn Glauben heißt: Wissen, was trägt!

Die vollständige Fassung seiner Dankesrede ist auf der JF-Intenetseite zu lesen  www.jungefreiheit.de






Peter Hahne, Jahrgang 1952, Diplom-Theologe, war langjähriger ZDF-Moderator, wofür er 2016 den Publikumsbambi verliehen bekam. Er ist als Autor für Bild am Sonntag, Achse des Guten, Tichys Einblick und die JUNGE FREIHEIT tätig.

Peter Hahne: Das Maß ist voll. In Krisenzeiten hilft keine Volksverdummung. Bastei Lübbe, Köln 2022, gebunden, 144 Seiten, 12 Euro