© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Soziale Ungerechtigkeit enttäuscht das Demokratievertrauen
Politisches System in Frage gestellt
(ob)

Allen Enttäuschungen zum Trotz halten breite Wählerschichten in den realexistierenden Postdemokratien des Westens bisher an dem Glauben fest, Demokratie sei die „Herrschaft durch das Volk für das Volk“. Angesichts der sich anscheinend unaufhaltsam vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich, der krassen materiellen Ungleichheit gerade auch in westlichen Konsumgesellschaften, wachsen Zweifel, ob eine Demokratie wirklich noch die Herrschaft „für“ das Volk wahrnimmt. Mit der Konsequenz eines dramatischen Wandels politischer Systeme, wie sie eine Studie der schwedischen Politologen Staffan I. Lindberg und Martin Lundstedt (Universität Göteborg) belegt. Hatte die Welle der weltweiten Demokratisierung um 1995 ihren Zenit erreicht, als nach der Implosion des Ostblocks über 70 Länder gleichzeitig einen Demokratisierungsprozeß durchliefen, waren es 2021 bescheidene dreizehn, während sich im selben Jahr 33 Länder, mit China an der Spitze, in „Autokratisierungsprozessen“ befanden. Die Demokratie verliere vor allem deshalb an Attraktivität, weil sie ihr zentrales Versprechen, soziale Gerechtigkeit herzustellen, im Zeitalter des globalisierten Kapitalismus immer weniger einlöse. Ungleichheit sei jedoch ein wichtiger Faktor, der die Wahrnehmung der Qualität und des Charakters einer Gesellschaft, in der man lebe, bestimme. Zeitige die Demokratie konstant sozioökonomische Ergebnisse, die einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung an den Rand drängen, werde das politische System nach und nach als Ganzes in Frage gestellt, nicht nur einzelne Regierungen und Parteien (Aus Politik und Zeitgeschichte, 37-38/2022). 


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