© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Weiße Unholde
Kino: Bei dem Action-Kracher „The Woman King“ durften sich „Black Lives Matter“-Aktivisten mal so richtig austoben. Doch dem Film fehlt es an historischer Präzision
Dietmar Mehrens

Schon der ruhmreiche Achill bekam es mit kampferprobten Amazonen zu tun und mußte die Erfahrung machen, daß mit dieser Art Frauen nicht zu spaßen ist. Ganz neu ist das Thema des wehrhaften Weibes also nicht. Unter der Regie von Gina Prince-Bythewood wurde es nun in einen Kontext eingebettet, der sich zu dominanten Zeitströmungen verhält wie eine Flaschenpost in einem reißenden Strom: Die Richtung ist klar. Der Kontext ist selbstredend – muß man’s noch eigens erwähnen? – der links-revisionistische Befreiungsdiskurs, der weiße Patriarchen zu den Unholden der letzten 500 Jahre Menschheitsgeschichte deklariert.

Man könnte auch sagen: In „The Woman King“ fließt zusammen, was schon immer zusammengehört hat: der Kampf gegen die Unterdrückung durch weiße Kolonialherren und der Kampf gegen die Unterdrückung der Frau. Letzterer ist zu Beginn von „The Woman King“ freilich schon fast gewonnen. Zwar wird der Volksstamm der Fon im Gebiet des heutigen Benin (das früher Dahomey hieß) von einem König regiert. Doch seine Elitekämpfer sind Frauen: die in einem unbarmherzigen Drill ausgebildeten Agojie. Sie sind, was die Janitscharen für die Türken waren und die Revolutionsgarde heute für das persische Mullah-Regime ist.

Gemeinsame Geschäfte mit den portugiesischen Kolonisatoren

Angeführt werden sie von der heldenhaften Generalin Nanisca (Viola Davis), einem muskulösen Mannweib mit einem dunklen Geheimnis, das sowohl ihre Wehrhaftigkeit als auch ihre unerquickliche Schroffheit erklärt. Mit der 19jährigen Nawi (Thuso Mbedu), die sich gegen ihre Zwangsverheiratung aufgelehnt hat und nun zur Strafe als Rekrutin bei den Agojie lernen soll, „was Schmerz ist“, tritt eine anfangs nicht sehr vielversprechende Nachwuchskriegerin die Ausbildung zur Elitekämpferin an. Nawi ist zwar nicht auf den Mund gefallen, aber renitente Reden bringen einen bei den Agojie nicht weiter. Trotzdem wird Nanisca bald klar: Mit Nawi ist ein Gegenüber in ihr Leben getreten, das dieses nachhaltig verändern wird. In der nonchalanten Izogie (Lashana Lynch), Nanis-

cas designierter Nachfolgerin, findet Nawi eine hilfreiche Mentorin.

Der für das äußere Geschehen zentrale Konflikt ist der zwischen dem Königreich Dahomey und dem mit ihm verfeindeten Stamm der Oyo. Der macht mit den portugiesischen Kolonisatoren gemeinsame Sache. „Ein Gift, das uns langsam tötet“, nennt Nanisca den Sklavenhandel, der daraus resultiert. Man könnte also auch sagen: „The Woman King“ ist „Black Lives Matter“ im historischen Kostüm, garniert mit reichlich Schlachtengetümmel.

Der Film zeigt auch Afrikas präkoloniale Rückständigkeit

Für Abwechslung sorgen darüber hinaus ein paar dramaturgisch allerdings unterbelichtete Nebenhandlungen: Zu den Sklavenhändlern gehört ein extrem muskulöser Afro-Portugiese, zu dem Nawi sich hingezogen fühlt; auch Ghezo (John Boyega), der König von Dahomey, muß in Sachen Partnerwahl bald eine Entscheidung treffen. All das jedoch erzählt das von Dana Stevens und der (weißen) Schauspielerin Maria Bello geschriebene Drehbuch eindimensional und ohne Tiefe. Der Film soll erkennbar lieber Action-Kracher als Historiendrama sein.

Der geschichtliche Hintergrund, die „wahren Ereignisse“ des Jahres 1827, auf die auch das Filmplakat werbewirksam hinweist, interessieren nur am Rande, weil sie das zu propagierende Weltbild konterkarieren. In Wahrheit war König Ghezo (1818–1858) nämlich derjenige, der fröhlich Sklavenhandel mit Europa trieb, dabei seine eigene Ethnie nicht ausnahm und erst 1852 durch eine Blockade der Briten dazu gezwungen werden konnte, den inhumanen Menschenhandel einzustellen.

Botschafter der Nächstenliebe wie der Abolitionist William Wilberforce (1759–1833) hatten in London einen Kurswechsel herbeigeführt. Keine Spur solcher christlichen Tugenden indes bei Ghezo, der seine Sklaven mit magischen Tanzritualen auf ihre traurige Zukunft vorbereiten ließ. „Der Sklavenhandel ist das Herrschaftsprinzip meines Volkes gewesen“, wird er in „The Fortunes of Africa“ von dem Historiographen Martin Meredith zitiert. Werner Herzog hatte sich der unrühmlichen Rolle Dahomeys bei diesen Menschenrechtsverletzungen in seinem Film „Cobra Verde“ (1987) angenommen und das Thema etwas seriöser aufgearbeitet als seine kalifornische Kollegin Gina Prince-Bythewood.

Aber auch eine auf vordergründigen Effekt und Haudruff-Ästhetik getrimmte Hollywood-Produktion hat immer noch Seltenheitswert, wenn sie komplett auf dem afrikanischen Kontinent spielt und ihren historischen Stoff fast ausnahmslos mit schwarzen Darstellern interpretiert. Die Regisseurin, selbst eine Farbige, verfährt auch nicht durchgehend naiv-beschönigend: Schonungslos offenbart ihr Film die präkoloniale Rückständigkeit des Kontinents. Wenn Nanisca ihren bärenstarken männlichen Erzfeind Oba (Jimmy Odukoya) zu bezwingen versucht, erinnert das auch deswegen an die Geschichte von David und Goliath, weil sich das Königreich Dahomey vor dem Kontakt mit Europäern auf einer Entwicklungsstufe befand, die im Orient bereits 1.000 Jahre vor Christus erreicht war. Und der Sklavenhandel floriert nur, weil der mit den Fon verfeindete Stamm der Oyo mit den Portugiesen Geschäfte macht. Das läßt trotz der für das Filmprojekt vorgenommenen Umetikettierung der realen Begebenheiten Zweifel keimen an Naniscas post-colonial-studies- und critical-race-konformer Einschätzung: „Die Weißen haben die Unmoral hergebracht!“

Auch die Zeitenwende in der Debatte um die Menschenwürde ungeborenen Lebens, für die sich der evangelikale Protestant Wilberforce vermutlich heute einsetzen würde, spiegelt sich in Prince-Bythewoods ambitioniertem Befreiungsdrama. Es kommt nämlich heraus, daß eine der Heldinnen ihr Leben einem Notzuchtverbrechen verdankt. Als sie ihr Jahrzehnte später gegenübersteht, begreift ihre Mutter: „Es war nicht deine Schuld!“ und erledigt damit in nur einem Satz eines der Hauptargumente der feministischen Abtötungslobby. Die vielen evangelikalen Christen mit afrikanischen Wurzeln, die heute noch im „Bibelgürtel“ der USA leben und natürlich auch zur Zielgruppe zählen, wird das freuen. Ob jedoch ein dermaßen demonstrativ auf US-amerikanische Diskurse und Befindlichkeiten zugeschnittener Film viele deutsche Zuschauer in die Kinosäle locken kann, ist mehr als fraglich.

Kinostart ist am 6. Oktober 2022