© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Historische Lebendigkeit
Stadtgestaltung: Eine neue Stiftung engagiert sich für die Bebauung von Berlins Mitte
Peter Möller

Karl Marx und Friedrich Engels sind zurück. Seit einigen Wochen stehen die überlebensgroßen Denkmäler der Urväter des Kommunismus gegenüber demwiederaufgebauten Stadtschloß an ihrem angestammten Standort, dem sogenannten Marx-Engels-Forum – einem städtebaulichen Nichtort aus der Konkursmasse der DDR. Aufgrund der Bauarbeiten an der U-Bahn-Linie 5 waren die Kolosse 2010 abgeräumt worden – doch wer gehofft hatte, daß dies ein Abschied für immer war, hat die Rechnung ohne das Beharrungsvermögen all jener Kräfte in der Hauptstadt gemacht, die den Stein gewordenen Albtraum von der „sozialistischen Stadt“ zwischen Spree und Alexanderplatz mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Der seit 1990 andauernde Streit um die Neugestaltung der alten Berliner Mitte füllt mittlerweile ganze Bibliotheken. Nun hat sich eine neue Initiative um die Berliner Unternehmerin Marie-Luise Schwarz-Schilling auf die Fahne geschrieben, die unwirtlichen Frei- und Betonflächen wieder in einen Ort zu verwandeln, der in der Tradition der europäischen Stadt steht und nicht der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang nacheifert. Die ins Leben gerufene „Stiftung Mitte Berlin“ hat sich zum Ziel gesetzt, für eine dicht bebaute und belebte Innenstadt auf dem Gebiet der einstigen Berliner Altstadt zu werben. Dabei wollen sich die Initiatoren an dem historischen Stadtgrundriß mit seinen vielen kleinen Straßen und Plätzen orientieren. „Berlin ist eine wunderbare Stadt, aber seine Mitte ist eine Betonwüste“, begründet die Ehefrau des früheren Postministers Christian Schwarz-Schilling (CDU) ihr Engagement.

Die Wiederverdichtung am Molkenmarkt stockt

Doch selbst wenn sich eines Tages für die umfassenden Pläne der Stadtreparatur im rot-rot-grün regierten Berlin eine politische Mehrheit finden sollte: Das Beispiel des nahe gelegenen Molkenmarkts, wo die überdimensionierte Verkehrsplanung der DDR große Freiflächen hinterlassen hatte, zeigt, wie schwierig die Umsetzung ist. Am Molkenmarkt, dem ältesten Platz Berlins, wird das umgesetzt, was in der einstigen Mitte noch ein ferner Traum ist – die Wiederverdichtung der Stadt. Doch Berlin wäre nicht Berlin, wenn dieses Projekt nicht schon wieder ins Stocken geraten wäre. Der städtebauliche Wettbewerb zur Bebauung des Areals steht vor dem Scheitern. Dabei geht es im wesentlichen um die Frage: Wird an dieser Stelle ein architektonisch „modernes“, klimaneutrales und „innovatives“ Viertel errichtet oder orientiert sich der Wiederaufbau an historischen Konzepten und der traditionellen Blockrandbebauung? Die Jury, die eigentlich diese Entscheidung treffen sollte, vertagte sich im September, ohne sich auf ein Ergebnis einigen zu können. Wie es am Molkenmarkt weitergeht, ist derzeit völlig offen.