© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Der Druck wächst
Die Skandale bei der ARD nehmen kein Ende, doch harte Einschnitte bleiben bisher aus
Gil Barkei

Selten war der Druck auf die Öffentlich-Rechtlichen und das Zwangsgebührensystem so hoch wie momentan angesichts immer neuer Skandale. Bürger, private Medienhäuser und nun auch die Politik erhöhen den Druck auf die Sendeanstalten. 

Vergangene Woche hat die FDP einen 5-Punkte-Plan zur Umgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) vorgestellt. „Viele Bürger sehen sich in ihrer politischen Meinung nicht ausreichend repräsentiert oder fühlen sich gar bevormundet. Gleichzeitig sind über die Jahrzehnte in den öffentlich-rechtlichen Sendern riesige und teure Verwaltungsapparate entstanden, die mit erheblichen Kosten verbunden sind“, heißt es in einem Präsidiumsbeschluß der Partei. Bei den Rundfunkanstalten herrsche ein „Fehlverhalten in den Führungsstrukturen“ sowie ein „Mangel an Transparenz und Kontrolle“. Zudem sinke die „gesellschaftliche Akzeptanz“ für die gebührenfinanzierten Medien.

Nach dem Willen der FDP soll sich der ÖRR künftig erstens auf seinen Bildungs- und Informationsauftrag konzentrieren. Dazu gehörten beispielsweise Nachrichten und Dokumentationen. Wichtig sei dabei, „eine ausgewogene, politisch neutrale und regional differenzierte Berichterstattung, die ein breites gesellschaftliches Spektrum abdeckt“. Berichte und Kommentare müßten zudem klar voneinander abgegrenzt werden.

Zweitens soll es vorerst keine Beitragserhöhungen mehr geben. Als Sparmaßnahme schlagen die Liberalen eine bessere Kooperation zwischen den einzelnen Sendern vor. Hier erfahren die Liberalen Rückendeckung von dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff. „Eine Beitragserhöhung ist auf absehbare Zeit nicht vermittelbar“, stellt der CDU-Politiker in einem Interview mit der FAZ klar. Zudem müßten endlich „konkrete Sparvorhaben“ aus den Anstalten kommen; ein Punkt sei die Vermeidung „kostspieliger Doppeltberichterstattungen“. Drittens heißt es in dem FDP-Beschluß: „Kein Intendant sollte mehr verdienen als der Bundeskanzler“. Die Partei regt an, sich bei den Gehältern des ÖRR-Spitzenpersonals an denen der oberen Bundesbehörden zu orientieren. Darüber hinaus plädiert sie für eine „Selbstverpflichtung zur Gehaltsdeckelung“ in der Chefetage.

Die „Privilegien der Öffentlich-Rechtlichen gegenüber privaten Wettbewerbern“ müßten viertens auf den Prüfstand gestellt werden. Eine „externe Kontrolle“ der Rundfunkanstalten und eine genauere Abwägung sollen untersuchen, ob höhere Gelder für mehr Programm gerechtfertigt sind. Die Partei regt fünftens an, die Verwaltung der ARD-Sender zu verschlanken. Als Beispiel nennt sie eine mögliche Zusammenlegung des Saarländischen Rundfunks und des Südwestrundfunks. Die Digitalisierung der Anstalten sowie eine Reform der Altersvorsorge sollen zudem die Personalkosten senken. 

Die Liberalen schielen mit ihren Vorschlägen auf die angeheizte Stimmung im Volk. 84 Prozent der Bürger fordern laut einer Insa-Umfrage die Abschaffung des Rundfunkbeitrags. Gleichzeitig steigt der Unmut privater Presseanbieter. So werfen zahlreiche Lokalzeitungen den ARD-Sendern eine zu weitgreifende Regional-Berichterstattung vor. „Beim digitalen Angebot ist unser Hauptwettbewerber der MDR“, beklagt etwa der Chefredakteur der Magdeburger Volksstimme, Alois Kösters, gegenüber der Welt. Der öffentlich-rechtliche Sender werte beispielsweise trotz fehlender „Waffengleichheit“ Bezahltexte der Zeitung aus, „mal mit, oft aber auch ohne Nennung der Quelle“. Der Geschäftsführer des Weser-Kuriers, David Koopmann, kritisiert Radio Bremen, das „alle möglichen Verrenkungen“ mache, „um einen Sendungsbezug herzustellen und ihre digitale Text-Berichterstattung ausweiten zu können“. Um den Streit beizulegen, soll es noch diesen Monat in Berlin zu Schlichtungsgesprächen zwischen der ARD und dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) kommen.

Derweil nehmen die Skandale in den Rundfunkanstalten kein Ende. Kürzlich rügte der oberste bayerische Rechnungshof den BR und forderte drastische Sparanstrengungen, da die Finanzreserven sonst bis Ende 2024 aufgebraucht seien. Bei 50 Prozent der Kosten sei nicht klar, wofür das Geld ausgegeben worden sei. Ein Problem seien unter anderem Beraterverträge, die oft auf „Empfehlungen der Geschäftsführung“ basieren und als „alternativlos“ gelten. Allein bei den Rücklagen für Pensionen klaffe ein Loch von 465 Millionen Euro. „Die Aufdeckung des Rechnungshofes belegt, daß der öffentliche Rundfunk ein krankes System ist, das dringend reformiert werden muß“, wetterte daraufhin der Vizepräsident des Bundes der Steuerzahler, Michael Jäger, in der Bild-Zeitung.

Das Abstimmungsverhalten zum Medienstaatsvertrag kippelt

Fast zeitgleich kam ans Licht, daß BR-Technikdirektorin Birgit Spanner-Ulmer in den vergangenen Jahren fast 500.000 Euro an Nebeneinkünften angehäuft hat – zusätzlich zu ihren 266.000 Euro jährlich wohlgemerkt. Laut Welt am Sonntag hat die 60jährige seit April 2016 440.000 Euro von der Salzgitter AG erhalten. Ein Geschmäckle gibt’s gratis dazu: Mitte September hob der BR in einer Dokumentation über Wasserstoff als neuen Energieträger ausgerechnet den Stahlkonzern in Niedersachsen als Positivbeispiel hervor. Zudem gelangte Spanner-Ulmer wohl nur deswegen in den Aufsichtsrat der Salzgitter AG, weil die Firma die gesetzlich eingeführte Frauenquote für börsennotierte Unternehmen erfüllen mußte. Bereits im August war die Funktionärin in die Schlagzeilen geraten, da sie gleich zwei Dienstwagen und zwei Chauffeure nutzt.

Daß die Anstalten den Druck sehr wohl zu spüren bekommen, zeigt die schnelle Reaktion des BR: Ab 2023 soll die Summe der Nebeneinkünfte der Angestellten mit „ARD- oder BR-Bezug“ auf 5.000 Euro jährlich gedeckelt werden – beim MDR gilt diese Regel bereits. Von großen, wirklich das gesamte System betreffenden Reformen, ist man allerdings in den Sendern, aber auch in der Politik weit entfernt. Selbst eine offene Debatte scheint auf wenig Interesse zu stoßen. Das zeigt ein Beispiel aus Rheinland-Pfalz, das im Rundfunkausschuß die Medienpolitik der Länder koordiniert. So wurde ein Antrag der AfD-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag, die Landesregierung möge zu den „Konsequenzen aus den massiven Vorwürfen gegenüber RBB und BR“ Stellung beziehen, zwar im Medienausschuß aufgerufen, aber kein Regierungsmitglied – das auch konkrete Fragen hätte beantworten können – herbeizitiert.

Der medienpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Joachim Paul, nannte dies einen „beispiellosen Skandal“ und eine „grobe und unverschämte Mißachtung des Parlaments“, die noch thematisiert werde. Paul weiter: „Noch bezeichnender, ja geradezu erbärmlich aber ist, daß der Antrag meiner Fraktion, ein sprechfähiges Mitglied der Landesregierung in den Ausschuß zu zitieren, von den Mitgliedern der Ampelfraktion abgelehnt wurde. Das ist ein Skandal im Skandal. CDU und Freie Wähler unterstützten mit ihrer Enthaltung diese Rochade und schauten darüber hinweg, daß ihre Rechte als Opposition vorsätzlich beschnitten wurden.“

Spielen die Öffentlich-Rechtlichen auf Zeit und versuchen mit kleinen angekündigten Veränderungen den Unmut in der Bevölkerung zu besänftigen, ohne sich an die dicken Bretter heranzutrauen? Bei den jüngsten Vorwürfen gegen das Kieler Landesfunkhaus, in die Berichterstattung eingegriffen zu haben, hat sich der NDR nach wenigen Wochen kurzerhand selbst entlastet. Zwar müssen Funkhaus-Chefredakteur Norbert Lorentzen und dessen Politik-Ressortchefin für Politik, Julia Stein, gehen, allerdings habe es keine „politischen Filter“ gegeben, sondern lediglich „ein gestörtes Redaktionsklima“ und „mangelnde Kommunikation“.

Doch für eine Aussitz-Taktik könnte es knapp werden, sollten die Affären nicht abebben. Für November ist die Intendantentagung angesetzt. Bis dahin will die ARD einheitliche „Compliance-Regeln“ erarbeiten. Die Bundesländer müssen zudem dem novellierten Medienstaatsvertrag zustimmen, der den reformierten Auftrag des ÖRR regelt, damit der Vertrag Anfang kommenden Jahres in Kraft treten kann. Doch neben Kritik aus der AfD sehen auch die CDU-Fraktionen in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen Ergänzungsbedarf wie eine Stärkung der Landesrechnungshöfe. Eine erneute Blockadehaltung Sachsen-Anhalts wie 2020 ist nicht ausgeschlossen, denn Ministerpräsident Haseloff macht gegenüber der FAZ deutlich: „Der Entwurf eines Medienänderungsstaatsvertrages liegt derzeit den Landtagen zur Vorunterrichtung vor. Das ist das übliche Verfahren. Das Ergebnis aus den Parlamenten werden wir dann in der Ministerpräsidentenkonferenz beraten und entscheiden. In jedem Fall ist schon heute klar, daß der Reformprozeß mit dem vorliegenden Entwurf nicht abgeschlossen sein kann, daß weitere Reformen notwendig sind.“ Generell gelte, er „werde Medienstaatsverträgen ohne ein positives Landtagsvotum nicht zustimmen“. Eine aufgeheizte Stimmung in dem ostdeutschen Bundesland könnte die Parteien veranlassen, wieder genauer auf die unter Mehrbelastungen ächzenden Wähler zu schauen.