© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Eine erhöhte Bedrohungslage
Pipelines, Unterwasserkabel und Häfen als Angriffsziele
Christian Schreiber

Seit Wochen forderten Demonstranten in Nord- und Mitteldeutschland, aber auch Politiker von AfD und der Linken sowie FDP-Vize Wolfgang Kubicki: „Öffnet Nord Stream 2!“. Doch dafür gab es weder in Deutschland noch in der EU eine politische Mehrheit. Und seit 26. September ist dieser Weg aus der Erdgaskrise vorerst versperrt: An dem Tag kam es zu Unterwasser-Explosionen in der Nähe von Bornholm, bei denen nicht nur an der Ostsee-Erdgasleitung Nord Stream 2, sondern auch an der Nord-Stream-1-Pipeline große Lecks entstanden. Die Bilder vom sprudelnden Methanaustritt in der Ostsee gingen um die Welt. Es war Sabotage – aber wer ist dafür verantwortlich?

Waren es die kriegerischen Russen? Vielleicht die USA, Polen, Litauen oder die Ukraine, die schon immer gegen Nord Stream 2 waren? Oder war es der erste große Terroranschlag im Auftrag von Klimaaktivisten? Darüber läßt sich nur spekulieren. Eines ist aber klar: Die kritische Infrastruktur in und nach Deutschland ist extrem verwundbar. Auch die Bohrinseln in der Nordsee sowie Ölpipelines und Kabel für den Datenverkehr sind ein potentielles Anschlagsziel. An der Erdgasversorgung aus Rußland – die bis 2021 über 50 Prozent des deutschen Bedarfs sicherstellte – ändert sich durch die Pipeline-Anschläge aktuell nichts: Nord Stream 2 ging bislang nicht in Betrieb, Nord Stream 1 war – laut Moskauer Angaben – in der Wartung. Die 2012 eröffnete Pipeline mit zwei Strängen hatte eine jährliche Kapazität von 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas.

Doch es gibt eine weitere Liefermöglichkeit: Die russische Pipeline Jamal, die via Weißrußland und Polen Erdgas von der gleichnamigen russischen Halbinsel im Nordpolarmeer nach Deutschland liefert. Deren Kapazität beträgt aber nur 33 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Etwa ein Drittel des deutschen Gasbedarfs sicherte bislang Norwegen. Die drei Erdgasleitungen (Europipe 1 & 2; Norpipe) gehen durch die Nordsee, kommen in Ostfriesland an Land. Ein kontinuierlich abnehmender Teil des deutschen Gasbedarfs wurde bislang via Pipeline aus den Niederlanden importiert. Der Anteil der Inlandsförderung am Verbrauch beträgt bislang nur 5,2 Prozent. Würde in Deutschland Fracking erlaubt, ließe sich die heimische Förderung signifikant ausbauen. Auch beim Öl war Rußland der größte Lieferant: 2021 kamen 27,7 Millionen Tonnen Öl von dort, das waren 40 Prozent des Bedarfs. Mit Abstand lagen die USA (10,2 Millionen), Kasachstan (8 Millionen), Norwegen (7,8 Millionen) und Großbritannien (7,6 Millionen) dahinter.

„Schwimmende“ LNG-Terminals sollen kurzfristig in Betrieb gehen

Ein Teil des Öls kommt traditionell mit riesigen Öltankern in Hamburg und Rotterdam an. Eine Pipeline vom Adriahafen Triest versorgt seit Jahrzehnten die großen süddeutschen Raffinerien. Die russische Druschba-Pipeline, die bislang die Raffinerien Schwedt und Leuna versorgte, wurde kein Sabotageziel, sondern Opfer der übereifrigen deutschen Sanktionspolitik: Zum Jahresende soll kein russisches Pipelineöl mehr verwendet werden – obwohl die EU das nicht verlangt hat. Eine Ölversorgung über die Häfen Rostock und eventuell Danzig ist für Schwedt geplant.

Immerhin gibt es seit vier Jahrzehnten eine strategische Ölreserve, die ausreicht, um Deutschland 90 Tage lang mit Mineralöl, Benzin, Diesel, Heizöl oder Flugbenzin zu versorgen. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat aber einen Teil davon bereits Anfang März freigegeben, um den Preisanstieg abzupuffern. Zudem könnte Saudi-Arabien demnächst wieder mehr Öl liefern. Das Land hat genug freie Kapazitäten dafür. Auch der Iran und Venezuela sind theoretisch Lieferländer – allerdings wie Rußland mit westlichen Sanktionen belegt.

Mittelfristig Hoffnung gibt es bei der Gasversorgung: In Wilhelmshaven und Brunsbüttel sollen die ersten deutschen Flüssigerdgas-Terminals (LNG) entstehen. Da dies aber wohl mindestens zwei Jahre dauert, sollen kurzfristig zur Überbrückung „schwimmende“ LNG-Terminals in Betrieb gehen. Das sind spezielle Tanker, auf denen das LNG – etwa aus den USA, Australien oder den Golfstaaten – direkt wieder in Gasform gebracht werden kann. Von dort wird es mit anderen Schiffen oder per Pipeline als „normales“ Erdgas wieder abtransportiert und über neue Übergabepunkte ins weitmaschige deutsche Netz eingespeist. Doch LNG ist um ein Mehrfaches teurer als Pipelinegas. In Amerika und Australien wird es oft durch das – bei Umweltschützern umstrittene – Fracking gewonnen. Auch Kühlung und Transport kosten viel zusätzliche Energie.

Mineralölwirtschaftsverband Fuels & Energie:  en2x.de

Bundesverband Erdgas, Erdöl und Geoenergie:  www.bveg.de