© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Wieder echt sein
Authentizität statt Filter: BeReal will TikTok, Instagram & Co. Konkurrenz machen
Eric Steinberg

Authentizität ohne Influencer – das verspricht das neue soziale Medium BeReal. Die Anwendung, bei der die wichtigste Botschaft bereits im Namen versteckt ist, erfreut sich seit einigen Monaten auch hierzulande wachsender Beliebtheit. Weltweit sollen es laut eigenen Angaben mehr als zehn Millionen tägliche Nutzer sein. BeReal wagt den Bruch mit der Scheinwelt der übrigen sozialen Medien und könnte vor allem das Nutzungsverhalten junger Menschen verändern – doch kann es überhaupt so lange auf dem Markt überleben?

Das Netzwerk, das bereits 2020 durch die französischen Unternehmer Alexis Barreyat und Kevin Perreau ins Leben gerufen wurde, belegt im App Store Platz eins in den Download-Charts. Das Grundkonzept zum Erfolg ist simpel: Die Nutzer sollen in dem Medium authentische Eindrücke ihres Alltags posten. Dazu versendet die App nach erfolgreicher Anmeldung Push-Nachrichten auf das Handy – verbunden mit der Aufforderung, nun ein Bild aufzunehmen. Die Meldung wird dabei zeitgleich an alle User versendet. Kommt der Nutzer dem Auftrag nach, wird das Bild sowohl mit der Innen- als auch mit der Außenkamera aufgenommen, so daß andere Betrachter einen genaueren Eindruck der Umwelt erhaschen können. 

Aufnahmen sind nur in der Anwendung möglich

Eine Aufnahme ist nur in der App möglich, Bilder aus der Galerie des Smartphones sind nicht zulässig. Die hochgeladenen Beiträge können nachfolgend mit Standorten und Bildunterschriften versehen werden, für das Publikum bleibt die Kommentarspalte bestehen. Weiterer Unterschied zu anderen Medien: In der App können persönliche Emojis, bestehend aus einem Bild der Nutzer, erstellt werden. Auch einen Entdecker-Feed gibt es, allerdings finden sich dort keine Inhalte professioneller „Content Creator“, die die Anwendung zur Selbstvermarktung nutzen. 

BeReal setzt sich daher das Ziel, persönlicher zu sein als Instagram und Co. Gerade das Tochterprodukt des Meta-Konzerns stand zuletzt immer wieder in der Kritik, da die Plattform vermehrt als Werbeportal genutzt wird und Inhalte durch unzählige Filter und Bearbeitung häufig nur noch einen winzigen Hauch Authentizität versprühen. Die Franzosen möchten dem entgegenwirken. Die App sei „ein neuer und einzigartiger Weg, um herauszufinden, wer deine Freunde in ihrem täglichen Leben wirklich sind“, heißt es auf der Unternehmens-Homepage. 

Masken fallen lassen, Alltag zeigen: In einem engen Kreis guter Freunde kann dieser Ansatz belebend auf das tägliche Social-Media-Verhalten wirken. Freunde können per Suche oder auch aus den Kontakten hinzugefügt werden. Das schmälert den Druck, möglichst viele Personen zu abonnieren und im Umkehrschluß auch selbst alle Anfragen zu bestätigen. Auch das Abhängigkeitspotential soll deutlich geringer sein. Zwar gibt es den Discovery-Feed, in dem die Aufnahmen auch öffentlich gepostet werden können, allerdings gibt es dort keine Hochglanz-Postings oder Kurzvideos zu sehen, die auf der Plattform verweilen lassen. 

Das Normaloleben kann schnell langweilig werden

Der Fokus liegt klar auf dem Privatbereich. Dort finden sich vor allem Aufnahmen von Betten, Sofas und Schreibtischen – der langweilige Alltag von Millionen Bundesbürgern eben. BeReal hat damit nicht nur eine Debatte um den Konflikt zwischen Authentizität und Selbstinszenierung eröffnet, sondern auch einen geschützten Raum geschaffen, der vor allem unter Freunden genutzt werden kann. 

Jedoch ist fraglich, welche Überlebenschancen das neue soziale Medium hat. Zwar mag es anfänglich spannend klingen, den Alltag seiner Bekannten hautnah mitzuerleben, die Begeisterung könnte sich allerdings nach dem hundertsten Sofa-Bild nach und nach in Luft auflösen. Denn: Ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Medien zu besitzen, ergibt noch lange keinen nachhaltigen Erfolg. 

Außerdem könnte auch dieser Vorteil bald dahin sein. Laut des Technikblogs Engadget arbeitet Instagram bereits an einem Prototyp, der ähnlich wie BeReal funktionieren soll. Das Medium hält sich bedeckt: Bis auf den Namen „Candid Challenges“ sind bisher kaum Details bekannt. Eine Übernahme der Funktionen ist wahrscheinlich, verfolgte Instagram doch bereits in der Vergangenheit die Strategie, funktionierende Features anderer Anwendungen zu kopieren.