© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/22 / 07. Oktober 2022

Der Flaneur
„Morgen ist Spermüll“
Elke Lau

Kennen Sie diese Situation? Sie stellen eine Kiste mit aussortierten Büchern in den Keller, entdecken bei jedem Besuch dort einen interessanten Titel, und nach wenigen Monaten verstauben die Exemplare wieder im Regal.

Die Verlegung unseres Wohnsitzes vom Schwarzwald in den Norden löste das Problem: Etwa fünfhundert Bände wanderten in die örtliche Bücherei oder wurden auf Flohmärkten verscherbelt. 

Nun verbringen wir wieder ein paar Tage in der vertrauten Umgebung und treffen unseren ehemaligen Nachbarn. Er stellt gerade drei Bananenkisten mit Büchern an den Straßenrand.

„Morgen ist Sperrmüll“, erklärt er.

„Warum schenkst du die nicht der Bücherei?“ frage ich entgeistert und wühle sofort in den Kartons.

„Hab’ ich ja, aber die lehnen die Annahme ab, zuviel Arbeit.“

Die Hinterlassenschaften werden durch das Gewitter durch die Luft gewirbelt und naß.

Wie ich Ulis Gesichtsausdruck deute, riecht er den Braten. Ich enttäusche ihn nicht, fünfzehn weltberühmte Klassiker, teilweise noch eingeblistert, bewahre ich vor ihrem Schicksal. Die meisten Bewohner hatten die Gelegenheit genutzt. 

Bettgestelle, Matratzen, Regale, Wäschetrockner und Geschirr warten auf die Müllabfuhr. Natürlich – typisch „Muschterländle“ – sorgfältig aufgeschichtet. Der Vermieter unseres Ferienhauses hatte ebenfalls seinen Speicher geleert.

Wie das Schicksal es will, zieht ein Gewitter auf und wer den Schwarzwald kennt, weiß, daß sich ein Sturm in Feldbergnähe minutenschnell in einen Orkan verwandeln kann. Gerade noch rechtzeitig räumen wir Gläser, Knallkümmel und Vesperplatte vom Balkontisch, als das Inferno mit Hagelkörnern und Regengüssen das Kommando übernimmt. Schock beim Blick aus dem Fenster. Die Hinterlassenschaften wirbeln durch die Luft und sperren die Straße für jeglichen Verkehr.

So schnell wie das Unwetter kam, verschwindet es wieder. Uli fackelt nicht lange. Barfuß und in Badehose watet er durch Wasserlachen und sichert zentnerschwere Matratzen mit eingesammelten Brettern und klatschnassen Steppdecken. Fertig!

In diesem Moment erscheint unser Wirt, der zwei Kilometer entfernt auf dem Berg wohnt, freut sich riesig über Ulis Einsatz, aber noch mehr über die Einladung zu Sekt, Bier und Vesperplatte.