© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Markus Reisner. Der Wiener Offizier erklärt auf Youtube den Ukrainekrieg und läßt dabei die Bundeswehr hinter sich.
Klar zum Gefecht
Ferdinand Vogel

Markus Reisner dürfte vielen, die am Ukrainekrieg interessiert sind immer noch kein Begriff sein. Zu Unrecht, denn der Oberst hat dem Youtube-Kanal des österreichischen Bundesheeres Klickzahlen und „Watchtime“ verschafft, die vorher dort selten waren. Mit seinen ausführlichen und optisch gut aufbereiteten Lageberichten zum Kriegsgeschehen informiert er in der Reihe „Der Krieg in der Ukraine“ auch für Laien verständlich über militärische Hintergründe, erklärt Zusammenhänge und verdeutlicht taktische und strategische Abläufe. Und er übt sich in einer für viele offenbar besonders schwierigen Disziplin – sachlich und neutral zu bleiben. 

Mittlerweile haben Millionen seine Videos geschaut. Auch hierzulande findet „Österreichs Top-Militärstratege“ (Welt) und „Youtube-Star“ (Cicero) Anerkennung. Im Interview mit dem Spiegel entschleierte er den auf den ersten Blick wahnwitzig wirkenden russischen Beschuß des Atomkraftwerks Saporischschja: „Das für Putin wichtigste Angriffsziel, wichtiger als das ukrainische Militär selbst, ist die Unterstützung des Westens“, weshalb er bei diesem die „Angst vor einer nuklearen Katastrophe schüren will“. Einen ähnlichen Hintergrund habe die jüngste Annexion ukrainischer Regionen, die dazu diene, Kiew und dem Westen bei „Angriffen auf diese dann russischen Gebiete mit Vergeltung durch Atomwaffen“ drohen zu können.

Der Österreicher lebt jene professionelle militärische Nüchternheit, die man hierzulande ‘preußisch’ nennt.

Seine Kompetenz hat der Militärhistoriker, Rechtswissenschaftler und bisherige Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der altehrwürdigen Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt auch in etlichen Buchpublikationen unter Beweis gestellt. 1978 in der sogenannten Buckligen Welt in Niederösterreich geboren, diente der Aufklärer neun Jahre beim Jagdkommando, dem Pendant zum Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr und absolvierte etliche Auslandseinsätze auf dem Balkan, in Afrika und Afghanistan. Seit September gebührt dem Stabsoffizier nun die Ehre, das Gardebataillon zu kommandieren, das dem Wachbataillon der Bundeswehr entspricht, also die Ehrenformation für Protokollaufgaben wie dem Empfang von Staatsgästen. 

Eine Woche nach Reisners erster Youtube-Folge am 4. März hat auch diese ein Format zum Ukrainekrieg gestartet: „Nachgefragt“ – dort interviewen allerdings Presseoffiziere Generäle und Oberste zum Verlauf und zu spezifischen Aspekten des Ukrainekrieges. Doch auch wenn die Expertise der bundesdeutschen Offiziere durchscheint, wirkt „Nachgefragt“ behäbig, unbeholfen, gestellt, und eine Visualisierung des Geschehens gibt es im Gegensatz zu Reisners Reihe kaum. Stattdessen haben die Bundeswehr-Beiträge einen zeitgeistigen Anstrich, nerven mitunter durch Fragen des Kalibers, wie sich ein interviewter General angesichts des russischen Angriffs denn „fühlt“ und zielen augenscheinlich auch darauf, die öffentliche Debatte politisch zu beeinflussen. Doch finden sich auch Ausnahmen, die dieser Versuchung widerstehen und Hintergründe ähnlich nüchtern und gut erklären wie Oberst Reisner.

Dabei steht auch der nach eigenem Bekunden auf der Seite der Ukraine. Dennoch läßt er sich nicht dazu verleiten, ins Moralisieren zu verfallen. Vielmehr lebt der Österreicher jene professionelle militärische Nüchternheit, die man hierzulande einmal „preußisch“ nannte.