© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Ländersache: Rheinland-Pfalz
Nicht belastbar?
Peter Freitag

Der Rückhalt begann Ende vergangener Woche zu bröckeln. Da teilte die Mainzer Staatskanzlei mit, die Ministerpräsidentin erwarte und „geht davon aus“, daß „die offenen Fragen vom Innenminister geklärt werden“. Daß Malu Dreyer (SPD) damit auf Distanz zu ihrem Parteifreund und Landesvorsitzenden Roger Le-wentz ging, dem sie kurz zuvor noch öffentlich das Vertrauen ausgesprochen hatte, liegt an den nun bekanntgewordenen Videoaufnahmen und einem Einsatzbericht aus der Flutnacht vom Juli vergangenen Jahres im Ahrtal. Damit wird die Darstellung des Innenministeriums und seines Chefs Lewentz widerlegt, man habe in der besagten Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 zwar von einzelnen Ereignissen gewußt, aber kein vollständiges, „belastbares Lagebild“ einer Katastrophe gehabt. 

In besagter Nacht waren Beamte der Polizei-Hubschrauberstaffel die Ahr flußaufwärts entlang geflogen und hatten Filmaufnahmen gemacht. In ihrem Einsatzbericht heißt es unter anderem: Das Hochwasser habe „dramatische Auswirkungen“, es stünden „zahlreiche Häuser bis zum Dach im Wasser“, verzweifelte Bewohner gäben mit Taschenlampen „SOS“-Signale. Erschütternde Szenen zeigen die teilweise mit einer Wärmebildkamera gemachten Aufnahmen.

Lewentz hatte zuvor geäußert, er habe in der Flutnacht nur Fotos aus dem Hubschrauber, nicht aber die Videos gesehen. Und auch die später aufgetauchten Filmaufnahmen hätten in seinen Augen „nur ein starkes Hochwasser“, aber „keine eingestürzten Häuser, keine Toten, keine verstopften Brücken“ gezeigt. Daher hätte sich auch mit den Videos seine erste Lagebeurteilung wahrscheinlich nicht geändert. Diese Äußerungen des Innenministers seien „zynisch und ein Schlag ins Gesicht all derer, die Angehörige in der Katastrophe verloren haben“, schäumte der Fraktionschef der oppositionellen CDU, Christian Baldauf. Seine Partei forderte umgehend die Ministerpräsidentin auf, Lewentz zu entlassen. Auch die AfD im Landtag verlangte von Dreyer, Lewentz das Vertrauen zu entziehen. „Der Innenminister trägt die politische Verantwortung dafür, daß in der Flutnacht gravierende Fehlentscheidungen getroffen wurden und mögliche Warnungen unterblieben sind. Diese Versäumnisse haben viele Menschen mit ihrem Leben bezahlt“, sagte der Fraktionsvorsitzende Michael Frisch. Schließlich habe die Landesregierung den Bürgern das Versprechen gegeben, „die Flutkatastrophe schonungslos aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.“

Unklar ist auch, warum die Videos aus dem Polizeihubschrauber seinerzeit nicht im Innenministerium ankamen, obwohl sie dort beauftragt worden waren. Sie blieben rund 14 Monate verschwunden. Und der Bericht des Hubschrauberkommandanten tauchte laut der Allgemeinen Zeitung erst kürzlich in den Beweisakten des Mainzer Untersuchungsausschusses auf. Bei der Flutkatastrophe im Sommer vergangenen Jahres kamen im Ahrtal mindestens 134 Menschen ums Leben, mehr als 700 wurden verletzt. 

An diesem Freitag tagt der Ausschuß erneut. Als Zeugen befragt werden unter anderem 16 Polizisten, darunter auch Mitglieder der Fliegerstaffel.