© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Sich nicht in allem grün sein
Parteitag: Am Wochenende kommen die Grünen zusammen / Bei den bisher Erfolgsverwöhnten kriselt es mittlerweile
Christian Schreiber

Es gibt wohl keine Partei, die so an ein Thema gebunden ist wie die Grünen an den Ausstieg aus der Kernenergie. Bis heute ist die Anti-Atomkraftbewegung tief in der Partei verwurzelt. Doch in der Regierungsverantwortung sieht sie sich gezwungen, liebgewonnenen Überzeugungen über Bord zu werfen. 

Am Wochenende kommen die Grünen in Bonn zu ihrem Bundesparteitag zusammen. Es wird Bilanz gezogen werden – fast ein Jahr ist die Ampelkoalition im Amt. Die Stimmung ist angespannt, auch die erfolgsverwöhnte Öko-Partei muß feststellen, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Zwar erzielte sie bei der Landtagswahl in Niedersachsen deutliche Zuwächse, diese fielen aber nicht so hoch aus, wie vor einigen Wochen noch erhofft (siehe Seite 4). 

Das Frustpotential vor dem Parteitag steigt. Vor zwei Wochen hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck bekanntgegeben, was für viele in seiner Partei bisher undenkbar war: „Stand jetzt“ sei damit zu rechnen, daß zwei süddeutsche Atomkraftwerke auch nach Jahresende in den Reservebetrieb gehen müssen, so der Minister. Die Kernkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 könnten im Dezember gar nicht erst heruntergefahren werden, weil noch mehr Atomstrom aus Frankreich fehle als befürchtet. Ein paar Tage zuvor hatte sich das noch ganz anders angehört. „Da sind wir glasklar. Am Atomausstieg wird nicht gerüttelt“, sagte die erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic. 

In die Debatte mischt sich nun auch ein Ex-Minister der ersten Regierungszeit im Bund ein. Unverhohlen läßt der Alt-Grüne Jürgen Trittin vor dem Parteitag die Muskeln spielen. Es sei nicht allein der Minister, sondern vor allem der Grünen-Parteitag, der zu beschließen habe, unter welchen Bedingungen Atomkraftwerke länger laufen können oder nicht, teilte Trittin mit und legte gegenüber der Süddeutschen Zeitung nach: „Wir sollten den Reservebetrieb genau konditionieren und verläßliche, präzise Parameter definieren, bei welchen Szenarien ein Streckbetrieb notwendig wird.“ Das Verfahren, das der Parteitag beschließe, sei „ergebnisoffen“, am Ende müsse der Bundestag einer solchen Verordnung „aktiv zustimmen“. Aus der Bundestagsfraktion heißt es, der Wirtschaftsminister habe mit seiner Vorgehensweise die eigenen Leute überrumpelt. 

„Ministerinnen und Minister machen einen erstklassigen Job“

Habecks Pragmatismus ist für viele seiner Parteikollegen auf dem linken Flügel kaum zu ertragen. „Keinen Tag länger – alle AKW abschalten“, heißt ein Dringlichkeitsantrag für den Grünen-Parteitag.  Grünen-Chefin Ricarda Lang rechnet dennoch mit der Zustimmung ihrer Partei für Pläne, die beiden süddeutschen Atomkraftwerke als mögliche Reserve einzusetzen. „Ich gehe davon aus, daß der Parteitag diesen Weg der Einsatzreserve mit großer Geschlossenheit mitgehen wird“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Viele in der Partei fragen sich aber, was passieren wird, sollte die Bundesregierung die Energie-Krise in den kommenden Monaten nicht in den Griff bekommen. Der schwächelnde Koalitionspartner FDP dringt auf eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten, viele Liberale sehen die Zukunft der Energiesicherheit plötzlich wieder in der Atomkraft. Wobei deren Vorsitzender Christian Lindner nach dem Wahldebakel in Niedersachsen einräumen mußte, für diese Position habe man keine Zustimmung vom Wähler erhalten.

Möglich, daß die Grünen-Führung versuchen wird, den schwarzen Peter an die Koalitionspartner weiterzureichen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin Mihalic wird deutlich:  „Wir finden, daß unsere Ministerinnen und Minister einen erstklassigen Job machen. Was allerdings nicht gut ist: Daß manche aus FDP und SPD derzeit auf der Suche nach besseren Umfragewerten den grünen Koalitionspartner angreifen, anstatt das gemeinsam erarbeitete Profil herauszustellen.“ 

Im Umkehrschluß bedeutet das: Egal, was beim Grünen-Parteitag dieses Wochenende herauskommen wird, dürfte das die Stimmung in der Koalition nicht verbessern. 

Foto: Grünen-Delegierte mit Stimmkarte: Die eigenen Leute überrumpelt