Spötter meinen gern augenzwinkernd, das niedersächsische Wolfenbüttel sei überregional nur noch den Liebhabern verstaubter alter Bücher oder denen eines klebrigen Kräuterlikörs ein Begriff. Tatsächlich beherbergt das Städtchen an der Oker sowohl die Herzog-August-Bibliothek, die im 17. Jahrhundert einmal die größte nördlich der Alpen war und als achtes Weltwunder galt, als auch die Produktionsstätte des „Jägermeisters“, der einzigen deutschen Spirituose, die zu den Top-Marken der Welt gehört (was es ihrem Eigentümer ermöglicht, regelmäßig als Top-Spender für deutsche Regierungsparteien in Erscheinung zu treten). Gewiß, man ist in der einstigen Welfenresidenz stolz auf das, was sie an Historischem vorweisen kann: Gotthold Ephraim Lessing war hier (eher ungern) Bibliothekar und schrieb seinen „Nathan“, Casanova weilte einst genauso in der Stadt wie Friedrich der Große, der hier mit einem Bankett in seine trostlose Ehe startete. Zwei Studienräte des örtlichen Gymnasiums erfanden 1893 die Fotozelle und den Begriff Atomenergie. Und seit 1983 beherbergt das südlichste -büttel des Landes das mit einem Preis von über 32 Millionen D-Mark seinerzeit teuerste Buch der Welt, das Evangeliar Heinrichs des Löwen. Doch was zählt das alles gegenüber dem Rekord, den die 50.000-Einwohner-Stadt möglicherweise demnächst aufstellen wird? Wolfenbüttel hat bald die deutschlandweit meisten „Vielfalt-Ampeln“. An 46 Lichtzeichen sollen demnächst entweder mit zwei sich an den Händen haltenden Frauen samt Herzen oder ein händchenhaltendes männliches Paar plus Herzsymbol die Grünphase signalisieren. Als kleinen Beitrag für Weltoffenheit und Toleranz möchte es der parteilose Oberbürgermeister Ivica Lukanic verstanden wissen. Kostenpunkt für alle 46 Umrüstungen zusammen, so ermittelte das Onlineportal regionalheute.de: rund 2.000 Euro. Oder umgerechnet 150 Flaschen Jägermeister.