© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Kurs auf Landesverteidigung
Territoriales Führungskommando und Heimatschutzkompanien: Die Bundeswehr geht zurück in die Zukunft
Peter Möller

Die Veränderung der sicherheitspolitischen Lage schlägt sich nicht immer in einer wachsenden Zahl von Panzern oder Kampfflugzeugen nieder. Mitunter sind es Eingriffe in die organisatorische Struktur der Streitkräfte, die vom Wandel künden. So verhält es sich auch mit der zu Beginn dieses Monats offiziell erfolgten Aufstellung des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr in der Berliner Julius-Leber-Kaserne. 

Die neue Dienststelle tritt an die Stelle des unmittelbar zuvor aufgelösten Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr – und doch ist es mehr als ein Wechsel des Namens. Das Territoriale Führungskommando steht künftig als „Schwesterkommando“ neben dem in Potsdam ansässigen Einsatzführungskommando, das weiterhin allein für die Einsätze der Bundeswehr im Ausland zuständig ist. Beide sind direkt dem Generalinspekteur Eberhard Zorn unterstellt. Das Territoriale Führungskommando ist für die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit den zivilen Behörden etwa im Katastrophenfall (Stichwort Amtshilfe) zuständig. Auf militärischer Ebene kommt der neuen Kommandobehörde unter anderem die Führung der nationalen Kräfte des Heimatschutzes zu. 

Dazu gehören neben dem Wachbataillon die regionalen sogenannten Heimatschutzkompanien und -regimenter, die im Kriegs- oder Spannungsfall mit Reservisten aufgefüllt werden und Schutz sowie Sicherungsaufgaben übernehmen sollen, wie etwa die Bewachung der kritischen Infrastruktur beziehungsweise wichtiger ziviler und militärischer Objekte. Eine Aufgabe, die angesichts der Anschläge auf die Gaspipelines in der Ostsee und der Sabotage der Kommunikationsleitungen der Bahn am vergangenen Wochenende (siehe Seite 4) vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine eine besondere Aktualität gewonnen hat. 

Im Fokus steht die „nationale Führungsfähigkeit“ 

„Jede Umspannstation, jedes Kraftwerk, jede Pipeline kann attackiert werden, kann ein mögliches Ziel werden“, sagte der Kommandeur des Führungskommandos, Generalleutnant Carsten Breuer, der zuletzt den Corona-Krisenstab der Bundesregierung geleitet hatte, der Bild am Sonntag. Die Sicherheitsbehörden müßten im Blick haben, wo mögliche Anschläge geplant werden. „Wir müssen die begrenzten Kräfte dann gezielt dorthin schicken. Man kann nicht jeden Strommast schützen“, schränkte Breuer ein, dem auch alle 16 Landeskommandos sowie die Truppenübungsplätze der Bundeswehr unterstellt sind. Die sind in jüngster Zeit mittlerweile genauso wie Kasernen Ziel von Überwachungsflügen durch Drohnen – möglicherweise im Auftrag einer fremden Macht.

In sechs Monaten, am 1. April kommenden Jahres, soll das neue Kommando komplett einsatzfähig sein und über rund 550 militärische und rund 250 zivile Dienstposten verfügen. „Und damit wollen wir dann die gesamten territorialen Aufgaben der Bundeswehr verantworten und wollen alles das, was an Operationen in Deutschland geführt wird, von hier aus dann auch führen können“, sagte Breuer im Bundeswehr-Podcast „Funkkreis“. Er legt Wert darauf, daß die neue Kommandobehörde mehr ist als „alter Wein in neuen Schläuchen“, also keine bloße Fortführung des Kommandos Territoriale Aufgaben. 

Zwar würden dessen Aufgaben, etwa die subsidiäre Amtshilfe bei Naturkatastrophen wie Hochwasser oder Waldbränden übernommen und die Fähigkeiten zur schnellen Bildung eines nationalen Krisenstabes vorgehalten. „Auf der anderen Seite des Spektrums steht für mich und aus dem Auftrag abgeleitet die nationale Führungsfähigkeit, das heißt, alle militärischen Kräfte, die in Deutschland zum Einsatz kommen egal, in welchem Szenario, werden durch das Territoriale Führungskommando dann auch geführt werden“, verdeutlichte der Dreisternegeneral das Aufgabenspektrum. Dazu gehört auch die Verlegung eigener Truppen und der Einheiten von Nato-Verbündeten auf dem Bundesgebiet zu gewährleisten und zu unterstützen. 

Von manchen war die Aufstellung des Führungskommandos mit Blick auf den Krieg Rußlands gegen die Ukraine daher als angebliches Anzeichen für eine bevorstehende direkte Teilnahme der Nato an dem Konflikt oder gar als Zeichen für einen drohenden Einsatz der Bundeswehr im Inneren gedeutet worden. Dabei ändert sich diesbezüglich an den strikten rechtlichen Beschränkungen auf unbewaffnete Amtshilfe einerseits sowie den Verteidigungsfall andererseits überhaupt nichts. 

Die Aufstellung des neuen Führungskommandos ist vielmehr ein deutliches Zeichen für die Stärkung der Landesverteidigung und in gewisser Weise eine Rückkehr zur „alten“ Bundeswehr aus der Zeit des Kalten Krieges. Denn auch damals gab es eine klare Unterscheidung zwischen der aktiven Truppe (Feldheer) unter Nato-Kommando und dem für die Landesverteidigung zuständigen nationalen Territorialheer, das im Zuge des Umbaus der Bundeswehr 2001 aufgelöst worden war. Und auch das Territorialheer hatte wiederum seine historischen Vorgänger: die in den Befreiungskriegen gegen Napoleon ab 1813 entstandene Landwehr oder das sogenannte Ersatzheer der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg.

Mit politischem Willen  zurück zur Wehrpflicht? 

Im Zuge der Rückbesinnung auf die Bündnis- und Landesverteidigung ist mit der Aufstellung des Territorialen Führungskommandos auch der Grundstein für die Wiederbelebung des Reservistenwesens in der Bundeswehr gelegt worden. Während des Kalten Krieges war es unter anderem die Aufgabe des Territorialheeres für den personellen Nachschub zu sorgen und Reservisten auszubilden. Doch nach 1990 wurde die Zahl der nicht aktiven, jedoch planmäßig verfügbaren Soldaten immer mehr zusammengestrichen. Seit Aussetzung der Wehrpflicht 2011 ist ihre Zahl noch einmal deutlich zurückgegangen – den damit einhergehenden Nachwuchsmangel bekommt die Truppe flächendeckend zu spüren. 

Nun könnte mit der neuen Kommandobehörde zumindest das Fundament für eine echte „Zeitenwende“ auch auf diesem Gebiet gelegt werden – und damit perspektivisch auch bei einem entsprechenden politischen Willen für eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Foto: Ausbildung künftiger Reservisten: Anknüpfen an historische Vorbilder wie etwa die Landwehr der Befreiungskriege