© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Teheran sendet widerspüchliche Signale
Iran: Auch einen Monat nach dem Tod der Kurdin Mahsa Amini kommt es zu Protesten gegen „Korruption, Armut und Ungerechtigkeit“
Jörg Sobolewski

Auch Wochen nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini kommt der Iran nicht zur Ruhe. Unverändert wird das Land von Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten erschüttert. Die junge Frau starb am 16. September nach mehreren Tagen im Koma, nachdem sie vermutlich im Gewahrsam der Sittenpolizei mißhandelt wurde. Amini gehörte der kurdischen Volksgruppe im Iran an, in deren Siedlungsgebiet es immer wieder zu Gefechten zwischen Irans Sicherheitskräften und Peschmerga kommt. 

Auch während der aktuellen Protestwelle gehören die iranischen Gebiete entlang der Grenzen zum irakischen Kurdistan zu den Schwerpunkten gewaltsamer Zusammenstöße. Machen doch die Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) kurdische Parteien für die Unruhen verantwortlich.

Entsprechend griffen sie in den vergangenen Wochen die Provinzen Erbil und Sulaimani in der Region Kurdistan an und nahmen dort die Stützpunkte kurdischer Oppositionsgruppen im Exil ins Visier. Nach Angaben des kurdischen Onlinedienstes Rudaw wurden bei den Angriffen mindestens 16 Menschen getötet und über 50 verletzt. 

Die Regierung der autonomen Region Kurdistan kündigte daraufhin an, auf eine Deeskalation der Lage hinzuwirken. Man werde die fraglichen Gruppen darum bitten, ihre Peschmerga „aus der Grenzregion abzuziehen“, um eine iranische Militäroperation auf dem eigenen Gebiet zu verhindern. 

Die Familie der Toten beklagt, das Ziel von Todesdrohungen zu sein, man habe der Familie deutlich gemacht, „sich von Protesten fernzuhalten.“ Zuletzt feuerten Anfang der Woche IRGC-Kräfte auf Demonstranten in der iranisch-kurdischen Stadt Sanandaj. 

Doch auch in anderen Landesteilen finden Proteste statt, darunter auch in der wichtigsten Hafenstadt des Iran, in Bushehr. Arbeiter der dortigen Petrochemie blockierten die Zufahrtsstraße zu einer Raffinerie und riefen regierungsfeindliche Parolen. Über tausend Arbeiter unterschrieben eine Streikdrohung. 

Die Volkswirtschaft des Iran hängt stark am Export von Öl und petrochemischen Produkten, ein Streik der bisher relativ privilegierten Arbeiter in der Branche könnte das Land hart treffen. Neben Forderungen nach gesellschaftlicher Liberalisierung kommt es vermehrt auch zu Demonstrationen gegen die desolate wirtschaftliche Lage. 

Bei Studentenprotesten in der Hauptstadt Teheran riefen die Demonstranten, man protestiere gegen „Korruption, Armut und Ungerechtigkeit”, dies sei „kein Protest, sondern eine Revolution“. 

Irans Regierung beschuldigte westliche Medien, die Iraner „mit Lügen aufzuhetzen.“ Dennoch scheint zumindest innerhalb der iranischen Regierung in Teilen ein Umdenken stattzufinden. Der Chef der iranischen Justiz, Mohseni Ajei, wandte sich in einer öffentlichen Rede an die Demonstranten und erklärte nach Angaben von Radio Farda seine Gesprächsbereitschaft, er werde mit „allen Strömungen, Gruppierungen, politischen Gruppierungen, Fraktionen und sogar Personen“ sprechen. Gleichzeitig beschuldigte Ajei Teile der Demonstranten, den „Koran und die Fahne verbrannt und Menschen getötet zu haben“. Die Regierung in Teheran verweist auf mehrere Sicherheitskräfte, die im Zuge der Protestwelle zu Tode gekommen seien. 

Die genaue Zahl der bei den jüngsten Protesten im Iran Festgenommenen wurde laut einem Bericht von Radio Farda noch nicht bekanntgegeben, aber Menschenrechtsorganisationen hätten ihre Zahl mit Hunderten beziffert. Angaben von IRGC-Beamten handele es sich bei den Verhafteten zumeist um protestierende Teenager.