© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Unbezahlte Diener des Fiskus
Grundsteuerreform: Überforderte Bürger an der Datenschnittstelle / Spätere Abgabefrist?
Stefan Kofner

Insgesamt 36 Millionen Grundsteuererklärungen müssen im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Oktober online über Elster von Unternehmen, Kommunen und Privatpersonen abgegeben werden. Das haben aber bisher viel zu wenige Steuerpflichtige erledigt. Die Abgabequote liegt derzeit erst bei rund 30 Prozent. Dahinter steht nicht nur Prokrastination. Manche Bürger haben vielleicht gerade andere Sorgen. Andere haben es gutwillig versucht und entnervt aufgegeben. Und wieder andere warten immer noch auf Aufforderungsschreiben, die nie kommen werden.

Wie immer beim „E-Government“ bleiben jene, die nicht in der digitalen Welt aufgehen, sich selbst überlassen. Mehr als die Hälfte der Privatvermieter und viele Eigenheimbesitzer sind über 60 Jahre alt und haben wenig Erfahrung mit Online-Schnittstellen zu Behörden. Sie sind oft schon mit der Beantragung eines Elster-Zertifikats überfordert. Im Zweifel müssen sie auf eigene Kosten einen Steuerberater mit der elektronischen Grundsteuererklärung beauftragen. Die muß unter anderem Flurstücksnummer, Grundstücks- bzw. Gebäudeart, Baujahr, Grundstücksfläche, Bodenrichtwert sowie Wohn- und Nutzfläche enthalten. Bürger und Betriebe müssen sich die nötigen Angaben selbst zusammensuchen, obwohl sie größtenteils bereits behördlich erfaßt sind. Auch wegen Datenschutzbedenken ist der Staat nicht in der Lage, die benötigten Daten selbst zusammenzuführen.

Wer Fehler macht, kann wegen Steuerverkürzung belangt werden

Die Grundsteuererklärung ist voller Fallstricke: Der Bodenrichtwert muß unbedingt zum Stichtag 1. Januar 2022 angegeben werden und zwar gegebenenfalls auch für die richtige Gebäude- oder Nutzungsart. Liegt kein Bodenrichtwert vor, muß der Wert aus vergleichbaren Grundstücken in der Umgebung abgeleitet werden. Die Flurstücksnummer hat man hoffentlich gleich parat. Die meisten Probleme gibt es erfahrungsgemäß mit der Flächenberechnung, unter anderem bei Anbauten, Wintergärten, Dachschrägen oder Balkonen. Bei kernsanierten Gebäuden muß das Jahr des Abschlusses der Arbeiten angegeben werden. Ob und wann eine Kernsanierung durchgeführt wurde, wirkt sich ganz wesentlich auf die Restnutzungsdauer und damit auf den Grundsteuerwert des Gebäudes aus. Wer Fehler gemacht hat, kann wegen Steuerverkürzung belangt werden. Bei Vorsatz droht sogar ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung.

Hinzu kommt das übliche föderale Chaos: Je nach Bundesland sind mal mehr, mal weniger Informationen gefragt, weil fünf Länder nicht das Berechnungsmodell des Bundes, sondern eigene Modelle anwenden. Außerdem versenden nicht alle Länder Aufforderungsschreiben (unter anderem Berlin) oder sie versenden sie nur an bestimmte Gruppen. Wer kein Schreiben erhalten hat, muß das für die Grundsteuererklärung notwendige Aktenzeichen selbst herausfinden – im Zweifel durch einen Anruf beim zuständigen Finanzamt. Angesichts der viel zu geringen Zahl der abgegebenen Erklärungen will der Bundesfinanzminister den Länderfinanzministern nun eine Fristverlängerung um einen „überschaubaren Zeitraum“ vorschlagen. Er verweist dabei auch auf die Überlastung der Steuerberater durch Corona-Schlußabrechnungen und Beratungen wegen der Energiepreise.

Den Finanzämtern, die für die Berechnung der Grundsteuerwerte zuständig sind, und den Kommunen, die die Grundsteuer festsetzen, läuft aber angeblich die Zeit weg. Sie müssen die Daten, die sie von den Grundstückseigentümern erhalten, verarbeiten und dann – vermutlich bis Ende 2023 – die Bescheide verschicken. Ab 2025 soll die neue Grundsteuer dann greifen. Man sollte annehmen, daß die entsprechenden Prozesse in einer modernen Verwaltung vollständig automatisiert ablaufen, zumal wenn der Bürger gleich alle benötigten Daten online selbst eingibt. Daß man dafür dennoch mehr als ein Jahr Zeit braucht, deutet auf eine unzureichende Vorbereitung hin.

Während dem Steuerbürger mächtig Druck gemacht wird, nimmt sich die Verwaltung auf dessen Kosten alle Zeit der Welt. Ironischerweise sind auch die Kommunen selbst zum Teil mit der rechtzeitigen Abgabe der Grundsteuererklärungen für ihre eigenen Grundstücke überfordert, und einigen Gemeinden wurden bereits Abgabefristverlängerungen gewährt. Die Städte Jena und Weimar haben in ihren Anträgen unter anderem auf die Bindung ihrer Personalressourcen in der Flüchtlingsunterbringung verwiesen. Grundstückseigentümer und Mieter sollten sich auf Mehrbelastungen aus der reformierten Grundsteuer einstellen. Zwar sollen die Bürger laut Finanzministerium insgesamt „nicht mehr belastet werden“, wobei „sich die individuellen Steuerzahlungen verändern“ werden. Außer in Niedersachsen ist aber die Aufkommensneutralität für die Kommunen nirgendwo gesetzlich festgelegt.

Der Anstieg der Grundsteuerwerte aufgrund der Neubewertung wird zwar durch eine entsprechende Absenkung der Steuermeßzahlen im Grundsteuergesetz global ausgeglichen, aber die Werte steigen eben in ganz unterschiedlichem Ausmaß. Wo die Grundstückswerte seit 1964 überdurchschnittlich angestiegen sind, wird das wohl kaum durch Hebesatzsenkungen der Gemeinden wieder ausgeglichen werden. Und die Eigentümer und Mieter in strukturschwachen Gebieten werden womöglich auch nicht viel sparen, weil ihre Hebesätze steueraufkommensschonend nach oben angepaßt werden.

Höhere Forderungen im Osten, weniger in Münchner Bestlagen?

Im Osten, wo bislang noch mit den Einheitswerten und Jahresrohmieten von 1935 gerechnet wird, müßten die Hebesätze erheblich gesenkt werden, um Mehrbelastungen für die Bürger zu vermeiden. Ob das so kommt, bleibt abzuwarten. Abgesehen davon gibt es Sondereffekte aufgrund der Berechnungsmodelle. So wird wegen des bayerischen Flächenmodells die Grundsteuer etwa in Münchner Bestlagen sinken. Teurer wird es in jedem Fall für die Eigentümer unbebauter Grundstücke: Mit der Grundsteuer C können die Kommunen ab 2025 unbebaute, baureife Grundstücke höher besteuern.

Letzten Endes bestimmen also die Gemeinden über ihr Hebesatzrecht die effektive Steuerlast. Zum Teil wurden die Hebesätze bereits im Vorfeld der Reform gezielt angehoben. Für die Zukunft sind heftige Konflikte vorprogrammiert: Es wird viele Einsprüche gegen die Steuerbescheide und in der Folge Gerichtsverfahren geben. Ob das grobe bayerische Flächenmodell, das die Lage des Grundstücks im Gemeindegebiet überhaupt nicht berücksichtigt, den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, ist offen. Auch mit Bürgerprotesten gegen die steigenden Abgabenbelastungen ist zu rechnen. Wenn es eine Verlängerung der Abgabefrist gibt, dann sollten die Länder die Zeit wenigstens dafür nutzen, die Eingabe der Daten für die Bürger einfacher und verständlicher zu machen.

Grundsteuererklärung für Privateigentum: grundsteuererklaerung-fuer-privateigentum.de