© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Neue Ordnung auf den Trümmern des Patriarchats
Vor dem Triumph der Frauenbewegung
(ob)

In der Geschichte der Frauenbewegung lassen sich vier Wellen ausmachen. Die erste beginnt in der kurzen Übersicht der Politologin Michaela Karl 1865 in Leipzig mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins. Für diesen bürgerlichen Verein war die Frauenfrage zunächst eine Bildungsfrage, die gelöst wäre, wenn Mädchen und Frauen Zugang zu Gymnasien und Universitäten erhielten, was um 1900 der Fall war. Ein weiteres zentrales Anliegen war der Kampf für das Frauenstimmrecht, das dann 1919 die Weimarer Reichsverfassung einführte. Eine zweite Welle türmte sich, von den USA anrollend, erst in den 1960ern auf. Unter der Fahne des „Feminismus“ machte sie gegen Abtreibungsverbote mobil und zog gegen sexuelle Gewalt in der Ehe und ubiquitäre sexuelle Belästigung zu Felde. In den Achtzigern abebbend, folgten ihr Akademikerinnen, die mit ihren ersten Theoriedebatten über „queer“ und „gender“ aber keine Massenwirkung entfalteten. Als die EU-weit institutionalisierte Gleichstellungspolitik in den Neunzigern Nachteile zwischen den Geschlechtern stetig nivellierte, wollten sich gerade junge Frauen nicht einmal mehr Feministinnen nennen. Das änderte sich um 2015: Einem Tsunami gleich, brach, in den USA ausgelöst, die vierte Welle als „Frauenbewegung 4.0“ mit ihrer Agitation für gendergerechte Sprache, gegen Geschlechterklischees und „Body-Shaming“ mit beispielloser Wucht in alle Gesellschaftsbereiche ein. Man stehe daher nun, wie Karls Kollegin Antje Schrupp frohlockt, kurz vor dem ultimativen Triumph, wenn bald auf den Trümmern des Patriachats eine „neue symbolische Ordnung“ errichtet werde (Zeitzeichen, 6/2022). 


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