© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/22 / 14. Oktober 2022

Fegefeuer der Engstirnigkeiten
Tragikomödie: In dem diese Woche anlaufenden Kinofilm „Triangle of Sadness“ rechnet der schwedische Regisseur Ruben Östlund mit der doppelten Moral der „woken“ Eliten ab
Dietmar Mehrens

Woran erkennt man einen Kommunisten? Daran, daß er Marx und Lenin liest. Woran erkennt man einen Antikommunisten? Daran, daß er Marx und Lenin versteht.“ Man merkt an diesem Witz, den in „Triangle of Sadness“ an Bord einer sturmgepeitschten Luxusyacht ein russischer Multimillionär dem Käpt’n erzählt, daß auch der neue Film von Ruben Östlund politisch aufgeladen ist. Der Filmemacher, der schon in dem Oscar-nominierten „The Square“ (2017) respektlos mit der Doppelmoral der Privilegierten abrechnete, legt mit seinem „Dreieck der Traurigkeit“ noch eine Schippe des Spotts drauf.

In drei Kapiteln, von denen wie bei den Seiten einer Triangel zwei lang sind und eines kurz, erzählt der Schwede auch diesmal eine doppelbödig-satirische Geschichte über die Schönen und Reichen und die, auf deren Kosten sie leben. Das klingt nach Kapitalismuskritik und ist es auch. Man sollte sich nur jetzt keinen Agitprop-Film vorstellen, in dem Grüne Jugend und „Freitags für die Zukunft“-Aktivisten ihre naiven Systemwechsel-Utopien verwirklicht sehen. Denn gerade den elitären Salonsozialisten und ihren begüterten Wohlstandskindern, ob sie nun auf den Namen Greta, Carla oder Luisa hören, wird Östlunds bitterböse Parabel zum Spieglein an der Wand, das ihnen unschöne Wahrheiten präsentiert. 

Da prangt anläßlich einer Mode-Präsentation vor geladenen Gästen in großen Buchstaben „Everyone’s equal“ („Alle sind gleich“) auf der Leinwand, wird also jener Egalitarismus zelebriert, der auch für die Superhelden von der Klimagerechtigkeitsliga von so elementarer Bedeutung ist. Aber in der ersten Reihe müssen erst mal ein paar Plätze freigemacht werden für diejenigen unter den Geladenen, die, frei nach George Orwells „Farm der Tiere“, gleicher sind als die anderen Gleichen.

Da sitzen das hübsche Fotomodell Yaya (Charlbi Dean) und Carl (Harris Dickinson), ihr Verlobter in spe, im nach ihnen benannten Eingangskapitel „Carl und Yaya“ gemeinsam in einem Nobelrestaurant beim Essen, und der junge Mann wundert sich, daß die selbstbewußte Instagram-Ikone, die mehr Geld verdient als er, in überkommene Geschlechterrollen zurückfällt, als die Rechnung auf dem Tisch liegt. Hatte Yaya nicht großspurig angekündigt, diesmal wolle sie zahlen? Warum überläßt sie dann wie ein Schulmädchen beim ersten Rendezvous ihm die Rechnung? 

Und da ist die Luxuskreuzfahrt, auf der sich alle, die sich öffentlich gern als modern, aufgeklärt und sozial engagiert inszenieren, von selbstverständlich nicht-weißen Arbeitssklaven bedienen lassen.

Regisseur Östlund verarbeitete eigene Erfahrungen: „Ich habe 2018 ein wenig in der Modewelt recherchiert, als ich mit meinem Freund Per Andersson zusammenarbeitete und eine kleine Bekleidungslinie für sein schwedisches Herrenmode-Label Velour entwickelte. Durch meine Partnerin Sina, die Modefotografin ist, habe ich einen detaillierten Einblick in die Branche bekommen. [...] Die Restaurantszene ist von meiner eigenen Erfahrung mit Sina inspiriert.“

Die vormals Privilegierten finden sich in einer neuen Realität wieder

In den beiden Hauptkapiteln „Die Yacht“ und „Die Insel“ entwickelt sich Östlunds Film zur mustergültigen Parabel, zur mikrokosmischen Gesellschaftsanalyse voller satirischer Überzeichnungen. Yaya wurde als Vertreterin der neuen Spezies Influencerin zusammen mit Carl auf die Luxusyacht eingeladen. Außerdem mit an Bord sind russische Oligarchen, skandinavische IT-Milliardäre, britische Waffenhändler, eitle Ehefrauen (darunter Iris Berben als Schlaganfallpatientin mit Sprachstörung) und ein Kapitän (Woody Harrelson), der sich nicht blicken läßt, weil er in seiner Kabine ein Alkoholproblem aussitzt. Unter dem Druck der leitenden Stewardeß Paula (Vicki Berlin) erklärt er sich schließlich doch noch bereit, zum Captain’s Dinner, das ja ohne Käpt’n wenig Sinn ergibt, zu erscheinen. Leider legt er die gesellige Runde ausgerechnet auf einen Donnerstag, den Tag, der schon im Namen einen Anklang an ein dickes Donnerwetter enthält.

Ein Sturm zieht also auf, und der versammelten Etepetete-Truppe wird speiübel. Das feudale Abendessen versinkt in – das Wort muß jetzt sein – Kotze und Chaos. Betrunken tauschen der kapitalismuskritische Käpt’n, ein Amerikaner, und ein kommunismuskritischer Multi, Russe, in Don-Camillo-und-Peppone-Manier ihre Kampfsprüche aus. Schließlich geht aus Versehen eine Granate hoch, und die Yacht erleidet Schiffbruch.

Die wichtigsten Protagonisten können sich auf eine einsame Insel retten. Zurückgeworfen in archaische Robinson-Verhältnisse, finden sich die vormals Privilegierten nun in einer völlig neuen Realität wieder: Alle Werte, die bislang die gesellschaftliche Hierarchie konstituiert haben, sind außer Kraft gesetzt. Der gegrillte Tintenfisch, der gerade noch so selbstverständlich an Bord der Yacht serviert wurde, wird nun zum Pars-pro-toto fürs nackte Überleben. Jetzt gilt, wer Fische fangen und Feuer machen kann: Horizonterweiterung für Engstirnige. Und so ernennt sich kurzerhand Reinigungskraft Alicia (Dolly De Leon) zum neuen Käpt’n – eine Revolution im Miniaturformat, die, soviel sei verraten, genauso ihre Kinder fressen wird, wie man es von Revolutionen erwartet.

Ruben Östlund gewann für seine boshafte Satire wie zuvor für „The Square“ in diesem Jahr die Goldene Palme von Cannes. Und das ist verdient. Denn der Regisseur wagt viel. Insbesondere die Inszenierung der Seekrankheit – eine Metapher für die krankhaften Folgen der westlichen Dekadenz – überschreitet jede Grenze des guten Geschmacks. Aber die schräge Komödie, die zugleich Groteske, Burleske, politischer Diskursbeitrag, Soziologie-Referat und noch vieles mehr ist, hat auch einige wirklich komische Momente. Gewagt ist auch die ausufernde Länge des Zweieinhalbstunden-Opus, die vor allem dem ausschweifenden Yacht-Kapitel geschuldet ist. Und „Carl und Yaya“ ist eigentlich weniger Exposition für das Hochseedrama, das folgt, als ein vorgeschalteter Kurzfilm zu einem anderen Thema. Doch erzählerische Extravaganz hat dem Provokateur schon bei „The Square“ niemand wirklich krummgenommen.


Kinostart ist am 13. Oktober 2022